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Brief aus der ­Romandie (vingt)


«Catherine Colomb? Sie ist absolut unverständlich. Ein solcher Wust von Personen… Auf der fünfzehnten Seite gibt man auf und schliesst das Buch. (…) Und wissen Sie auch, warum? Sie versteht sich selber nicht. Sie schreibt einfach drauflos, ohne Plan und Ziel.»

Harte Worte. Doch es war die Autorin selbst, die ihr Werk in einer Rede an der Schweizerischen Landesausstellung von 1964 selbstironisch so charakterisierte. «Schwierig», aber höchst faszinierend ist Catherine Colomb (1892–1965) auch für heutige, an Virginia Woolf und Claude Simon geschulte Leserinnen und Leser.

Die soeben bei Zoé erschienene, 1680seitige kritische Gesamtausgabe «Tout Catherine Colomb» präsentiert das Werk von den ersten, 1911 in der «Tribune de Lausanne» erschienenen Zeitungsartikeln bis zum letzten, unvollendet gebliebenen Roman «Les Malfilâtre / Vols de mouette» – eine beeindruckende Herausgeberarbeit unter der Leitung von Daniel Maggetti. Neben den vier zu Lebzeiten erschienenen Büchern, dem noch traditionellen Erstling «Pile ou face» (1934) und der Trilogie «Châteaux en enfance» (1945), «Les Esprits de la terre» (1953) und «Le Temps des anges» (1962), findet sich auch der 2005 entdeckte Roman «Des noix sur un bâton» (1936) und sogar die abgebrochene Dissertation über den Westschweizer Pietisten und Aufklärer Béat de Muralt. Subtil verwebt Colomb literarische und historische Anspielungen mit Erinnertem und Erfundenem und mischt dabei unverfroren Waadtländer Dialektausdrücke, deutsche und englische Einsprengsel ins Französische.

Gleichzeitig mit dem Gesamtwerk ist eine ausgezeichnete Einführung von Anne-Lise Delacrétaz erschienen: «Catherine Colomb. En plein et lointain avenir» (Savoir Suisse). Wir erhalten einen prägnanten Überblick über Leben und Werk einer Autorin, die mit fünf Jahren ihre Mutter verliert und bei der Grossmutter aufwächst, die Proust bewundert und Themen wie Kindheit und Gedächtnis aufnimmt, aber in völlig eigenständiger Weise Ironie und Poesie, Satire und Innigkeit, Realität und Imagination verbindet. Deutschsprachige Literaturbegeisterte müssen sich noch mit der dreibändigen Gesamtausgabe von 1996/97 (eFeF) begnügen. So oder so: Lesen Sie Catherine Colomb!

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