Die Schweiz im Krieg
«Deutschland hat Russland den Krieg erklärt. – Nachmittag Schwimmschule.» Das lakonische Notat vom 2. August 1914 steht nicht in einem Schulgemeindeprotokoll, sondern im Tagebuch eines der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts: Mit zwei Sätzen, scheint es, handelt Franz Kafka das Weltereignis ab und taucht ins Privatleben ein. Hat die Schweizer Literatur mehr zum Krieg zu […]
«Deutschland hat Russland den Krieg erklärt. – Nachmittag Schwimmschule.» Das lakonische Notat vom 2. August 1914 steht nicht in einem Schulgemeindeprotokoll, sondern im Tagebuch eines der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts: Mit zwei Sätzen, scheint es, handelt Franz Kafka das Weltereignis ab und taucht ins Privatleben ein. Hat die Schweizer Literatur mehr zum Krieg zu sagen? Dieser Frage gehen wir zum Ende des grossen Kriegsgedenkjahres nach, in Schlaglichtern auf hiesige Dichter, dehnen dabei aber den Horizont weit über «1914» hinaus und in den Hort des Friedens hinein – und schauen auf die «Schweiz im Krieg».
Dass dieses Wortpaar nur vermeintlich widersprüchlich ist, zeigt zunächst ein Blick in mittelalterliche Erzählungen und aufklärerische Liederbücher. Mit stolz-geschwellter Brust treten uns darin die Eidgenossen als Schlachtsieger entgegen, und einige der «vorwiegend zum Kriege geschickten» Helvetier waren offenbar noch im 20. Jahrhundert erpicht, diese Tugenden einzusetzen: Diverse Schweizer Autoren, denen wir über die Schulter blicken, begrüssten sowohl 1914 wie auch 1939 euphorisch das Ende der Ödnis – um daraufhin bei endlosen Grenzwachen oder im passiven Aktivdienst gegen den «Dämon der Langeweile» zu kämpfen. Andere, lesen wir, thematisierten den Krieg, indem sie ihn zum Abwesenden machten und sein Gegenteil herbeischrieben, und glückliche Spätere, hören wir, denken sich bis heute literarisch ins Undenkbare ein.
Der Krieg lag und liegt jedenfalls auch in der Schweiz näher als gemeinhin angenommen.