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Karakorum Highway to Hell

Charlie Buffet: Pionier am K2 – Jules Jacot Guillarmod. Entdecker und Fotograf im Himalaya, 1902–1905. Zürich: AS-Verlag, 2012.

Da ist dieses verschrobene Titelbild. Ein diesig verschleierter Gigant, der K2, die Majestät unter den Killern im Himalaya, keineswegs in voller Pracht, in partieller Unschärfe sogar, davor drei Männer im Gletschergeröll liegend, vom Kopfweh hingeschmettert, einer hält sich die Stirn. Die Expedition, das Siechtum in den stinkenden Stoffzelten, alles ist vorbei. Nicht das beste Bild dieser Pionierfahrt ans obere Ende der Welt. Doch in keiner anderen Aufnahme flirrt das Verderben besser. Wie ein Fluch lastet auf beiden Expeditionen die ihnen unbekannte Höhenkrankheit – und Aleister Crowley. Aber es gibt auch heitere Aufnahmen. Oscar Eckenstein, wie er auf abschüssigem Gletschereis mit Pfeife im Mund seine neuesten Erfindungen vorturnt: Kurzstiel-Pickel und Steigeisen! Der Engländer praktiziert den führerlosen Alpinismus, was ihm «abscheuliche Beziehungen zum Alpenclub einträgt», ihn aber wohl wenig geniert haben dürfte. Er war unter den ersten, die in den Karakorum vordrangen, und schart nun Gleichgesinnte um sich für die Reise zum K2. Bis dahin nur indischen Geologen durchs Fernrohr bekannt. Mit dabei: Jules Jacot Guillarmod, Schweizer Arzt und Photograph. Dann das erste Bild von Aleister Crowley, dem grossen Okkultisten und Würdenträger des redlich erworbenen Titels «verruchtester Mensch der Welt». Hier sitzt der Teufel auf einem weissen Pferd, apart in farbige Decken gehüllt. Übelgelaunt blickt er um sich, die Malaria im Leib. Ausgerechnet der renitente Poet und Drogenfreak wird Zeltpartner des Schweizer Expeditionsarztes. Das grosse Tier 666 ist er zwar noch nicht, doch gemäss Guillarmods Tagebuchnotizen menschlich und hygienisch schon ein richtiger Sauhund. Dass er den Arzt beinahe täglich im Schach schlägt, hilft auch nicht. Sie werden nicht gemeinsam auf dem K2 stehen – und schon gar nicht auf dem Kangchenjunga, von dem Crowley nach dem tödlichen Unglück eines Bergsteigers als quasikrimineller Expeditionsleiter endgültig in die Hölle seiner Opiate absteigen sollte. Guillarmods Wut auf «diese Pest» hätte nicht grösser sein können – aber sollen. Denn schon bald zerschellt sein um Wissenschaftlichkeit bemühtes Vermächtnis an der rasenden Egomanie des britischen Exzentrikers. Das erstaunt nicht, seine Tagebücher füllt Guillarmod wie ein besserer Aktuar. Doch bringt er Photographien mit nach Hause, die an Faszination und Exotik in nichts dem dunklen Poeten nachstehen. Obwohl er als Laternenbildvortragender in den Salons der Belle Epoque Erfolge feierte, setzten sich Crowleys Phantastereien durch. Erst jetzt hat Charlie Buffet die 12 000 Glasplatten aus der Dunkelheit geholt und zu einem Photoband ediert, der mit pointierten Texten die Ereignisse der beiden Expeditionen neu erzählt und richtigstellt. Sie werden zur Geschichte zweier Männer, die in grosser Hassfreundschaft verbunden waren, als Sonderlinge im damaligen nationalistisch geprägten Alpinismus: der Schweizer und der Satanist. Im Nachhinein betrachtet, sind Guillarmods Bilder von erdrückender Symbolik, aber auch voll monumentaler Freude am Aufbruch und an den Bergen. Es gibt dieses Gruppenbild vom Lager VI kurz vor dem Unglück am Kangchenjunga, das einzige übrigens, auf dem Crowley dabei ist; Guillarmod hatte sich auf der zweiten Expedition geweigert, ihn zu photographieren. Das Lager scheint zu schwanken zwischen den beiden Abgründen des Schneegrats, Fetzen flattern von den Zelten und den Bergsteigern. Lässig hängen sie in der Todeszone wie eine von Fellini inszenierte Bande alpiner Piraten. Der einzige, der in die Kamera blickt, trägt eine gespenstische Gesichtsmaske. Oder das unschlagbare Porträt von Crowley in Schwefel badend. Oder die erste jemals aufgenommene Photographie des K2. Leider nicht im Mondlicht, findet Guillarmod. Oder die beiden Kuhlen im Gletscher, Schlafsackabdrücke der Männer, die hier langsam einsanken als ob in ihr Grab. Oder die Bergsteiger am nassen Schlund eines Wasserfalls namens «Teufels Küche», Crowleys Kletterfelsen im schottischen Hochland. Was nur hat Guillarmod hierher getrieben, um dem unerträglichen Klaus Kinski seiner ersten Expedition die Leitung seiner nächsten zuzusichern? Ein Bildband, der in seiner Grossartigkeit nicht zu fassen ist.

 

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