Kein Plan B
Werbetexter, Programmierer, Hausmann und Bordeaux-Kenner. Was einer alles tut, um das eine tun zu können.
Wenn eine Hexe Sie zu einer Entscheidung zwingen würde: wären Sie lieber faul oder phantasielos?
«Phantasielos» ist kaum möglich, da ich seit frühester Kindheit Geschichten tagträume. «Faul», vielleicht, aber eher nicht, der Drang zum Schreiben ist stärker als mein innerer Schweinehund.
Zeitungsverträger, Französisch-Nachhilfelehrer, Privatsekretär eines Roulettespielers, Werbetexter und Angestellter in einem Waffen- und Jagdgeschäft. Warum waren Sie so verzettelt, ehe Sie aufs Schreiben kamen?
Als junger Autor muss man sich ja irgendwie den Lebensunterhalt und die Schreibzeit finanzieren. Ich bin nicht der Typ, der betteln geht, damit mir der Steuerzahler einen Risikoberuf finanziert, den ich freiwillig ausgesucht habe. Rückblickend haben mir diese fünfzehn Gelegenheitsjobs viel Stoff für meine Bücher und Drehbücher geliefert. Was ich dort gelernt habe, lernt man an keiner Universität. Ich würde es deshalb nicht Verzettelung nennen.
Wem würden Sie eher eine Waffe verkaufen: einem Autor, einem Verleger oder einem Kritiker? Warum?
Einem Autor würde ich keine Waffe verkaufen, Autoren sind ja so wehleidig und furchtbar ungeschickt, wenn sie sich das Leben nehmen wollen. Dem Verleger würde ich eine Angelrute verkaufen und dem Kritiker das Buch «Rätselhafte Natur». In einem Drehbuch wäre der Fall klar: Der Autor kauft die Waffe, erschiesst den Kritiker und schreibt im Knast seine Memoiren: «Wie ich mein beschissenes Leben vollends ruinierte». An dieser Stelle käme der Verleger ins Spiel.
Was macht der Privatsekretär eines Roulettespielers?
In den 70er Jahren hatte ich einen Original-Roulettekessel im Hotelzimmer und liess am Vormittag die Kugel rollen, um das angeblich geniale System meines Chefs zu überprüfen. Mein Arbeitgeber war der mittlerweile leider verstorbene Dramatiker Heinrich Henkel. Am Abend notierte ich jeweils an vier Tischen die Zahlen. Heute hat man digitale Anzeigen. Verloren wir, musste ich mir anhören, wieso meine schlecht sitzende Krawatte ihm die Konzentration geraubt hatte. Systemspieler sind nicht wirklich begabt in Mathematik. Sie müssten sich bloss einmal fragen, wer all diese prächtigen Casinopaläste finanziert. Ich habe die Szenen in der «Script Avenue» beschrieben.
Wie sieht Ihr typischer Schreibtag aus?
Es gibt einen Tagesablauf vor der Leukämie und einen nach der Leukämie. Ich bin mein Leben lang um fünf Uhr morgens aufgestanden und habe mit Schreiben begonnen. Ich träume sehr intensiv meine Geschichten und kann mich am nächsten Morgen noch an Dialoge erinnern. Die Geschichten entwickeln sich beinahe von selbst. Ich habe noch nie ein weisses Blatt angestarrt. Seit der Leukämieerkrankung ist alles anders: Man ist ständig erschöpft, von den vielen Medikamenten gezeichnet, hat alle paar Stunden Muskel- oder Nervenschmerzen, da muss man schauen, wie die Nacht verläuft, und am Morgen improvisieren. In der Regel stehe ich heute zwischen zwei und drei Uhr morgens auf, starte mein Rehab-Programm, frühstücke um sechs mit meiner Frau, schlafe eine Stunde und arbeite dann, solange es geht.
Sie haben in unserer Korrespondenz geschrieben, dass es keine idealen Bedingungen brauche zum Schreiben. Wie meinen Sie das?
Ich hatte nie ideale Bedingungen zum Schreiben, aber nichts konnte mich vom Schreiben abhalten. Da mein Sohn nach der Geburt eine Cerebral-Parese erlitt, brauchte er täglich zu Hause stundenlanges Training, meine Frau hatte über einen Zeitraum von vierzehn Jahren verschiedene Krebserkrankungen, ich war am Ende Mutter, Hausmann und Krankenpfleger. Und immer noch Autor.
Dafür gründeten Sie in den 90ern unter anderem eine Firma für telefonbasierte Computerspiele. Sind Sie mit dem Aufziehen eines so komplexen Unternehmens noch zur Literatur gekommen?
Das ist nicht so komplex, wenn man etwas davon versteht und Spass am Wettbewerb hat. Ich habe auch in dieser Zeit täglich geschrieben, und als ich davon leben konnte, habe ich die Firma verkauft. Ich wollte immer Schriftsteller werden und hatte nie einen Plan B.
Was ist Ihr wichtigster Tip an junge Autorinnen und Autoren betreffend die notwendigen Freiräume zum Schreiben?
Wenn das innere Feuer gross genug ist, stellt sich die Frage nach Freiräumen nicht. Lodert es auf Sparflamme, hat es eh keinen Sinn. Man sollte nie auf günstigere Bedingungen warten. Das sind oft Ausreden, weil einem nichts einfällt.
Können Sie verstehen, wenn Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die seit Jahren am Markt vorbeidilettieren, zu lästern und jammern beginnen über den Erfolg der anderen?
Wer vor allem wegen der finanziellen Förderung und der Attraktivität beim anderen Geschlecht mit Schreiben beginnt und erst nach erfolglosen Jahren realisiert, dass es zum Schreiben nicht nur Geld, sondern auch Phantasie, Handwerk und Ausdauer braucht, der ist natürlich bitter enttäuscht und beginnt zu lästern.
Die Steigerung der sexuellen Attraktivität und die Aussicht aufs grosse Geld dürften tatsächlich zu den weniger häufig genannten Gründen zur Aufnahme dieses Berufs zählen.
Teenager träumen meistens von künstlerischen Berufen, sie wollen Musiker, Maler oder Schriftsteller werden. Und wenn sie in der Disco sagen: «Ich möchte einmal bei der Steuerverwaltung arbeiten», hält sich das Interesse in Grenzen.
Sie haben eine illustrierte Geschichte der Scheisse geschrieben. Schreiben Sie eigentlich über alles?
Ich interessiere mich in der Tat nicht nur für Literatur, Film und den eigenen Bauchnabel, sondern auch für Geschichte, fremdländische Küche, IT-Technologien, Bordeauxweine, Finanzmärkte und manchmal für ausgefallene Themen wie die Kulturgeschichte der Scheisse. Victor Hugo sagte treffend, dass die Geschichte der Kloaken auch die Geschichte der Menschheit sei.
Sie äussern sich pointiert zu politischen Themen. Sind politische Äusserungen von Autoren in irgendeiner Hinsicht zu unterscheiden von jenen von Hinz und Kunz?
Die schreibende Zunft hat in den letzten 20 Jahren kontinuierlich an Relevanz verloren. Das liegt daran, dass sie zu oft den Bezug zur Realität verloren hat: historisch längst widerlegte Teenagerideologien, emotionale EU-Schwärmerei und rituelles Schweiz-Bashing sind nicht mehr ausreichend, um sich im Internetzeitalter Autorität zu verschaffen, kann doch jeder googeln, dass die Schweiz in allen Bereichen gemäss den internationalen Statistiken zu den Top Ten gehört.
Einspruch! Erstens: Autorinnen und Autoren sollen sich «Autorität» verschaffen, indem sie Literatur hervorbringen! Zweitens: Im Gespräch mit Autorinnen und Autoren findet man viel mehr als Teenie-Mottenkisten, blinde Schwärmerei und Sado-Masochismus! Drittens: Sie weichen meiner Hinz-Kunz-Frage aus!
Zu Punkt 1: Autoren sollen schreiben und die Leser intelligent unterhalten. Zu Punkt 2: Es gibt für alles Beispiele und Gegenbeispiele. Punkt 3: Entscheidend ist nicht, ob man Autor ist, sondern ob man laufend den Horizont erweitert und liebgewonnene Wahrheiten überprüft. Das ist das Prinzip der Wissenschaft.
Sie haben sich in unserer Korrespondenz als «Aussätziger» im hiesigen Literaturbetrieb bezeichnet. Warum?
Wenn Sie als junger Autor Teil der Literaturszene werden, bemerken Sie erst im Laufe der Jahre, dass Sie einer Sekte beigetreten sind. Es gehört zu den 10 Geboten, dass man klammheimlich Freude empfindet, wenn Linksextremisten wie an der G20 ganze Strassenzüge verwüsten. Kriminelle Asoziale gibt es sowohl links aussen als auch rechts aussen. Wer nicht beides gleichermassen verurteilt, ist nicht glaubwürdig. Wer das thematisiert, gerät schnell in Verdacht und hat es dann schwer in der Szene.
Lassen Sie uns konkreter werden. An welches Beispiel denken Sie?
Als Vater wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich für einen Pädophilen einzusetzen, der ein 13jähriges Mädchen unter Drogen setzt und vergewaltigt. Aber weil der Mann Roman Polanski heisst, haben sich seinerzeit fast alle Literaten dafür eingesetzt, dass er der Strafverfolgung entzogen wird. Ein anderes Beispiel: Ich mag weder den Politiker Freysinger noch den Autor Freysinger, trotzdem war ich im Sinne von Voltaire dafür, dass er in den Autorenverband aufgenommen wird. Das Charakteristikum einer Sekte ist eben die gemeinsam praktizierte Intoleranz gegenüber anderen.
Sind Schriftstellerinnen und Schriftsteller eigentlich die Richtigen, um öffentliche Debatten anzuregen?
Debatten anregen? Wie denn? Wer vor lauter Angst, aus der Familie ausgestossen zu werden, schweigt, leistet keinen Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt. Er behindert ihn. Warren Buffet sagte einmal: «Man hat weder recht noch unrecht, weil andere derselben Meinung sind. Man hat recht, weil die Fakten stimmen und die Überlegungen folgerichtig sind.» Was für die Börse gilt, gilt auch in der Politik.