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Kein schöner Land

Ich bin in der Kleinstadt aufgewachsen. Nicht auf dem Land. Wir legten damals Wert auf diesen Unterschied. Jeder, der mit dem Auto von Zürich nach Bern fuhr, musste durch Bremgarten. An Sommertagen roch die Kleinstadt nach Benzin. Und da war der Fluss. Mein Zürcher Onkel kam mit der Vespa und mein Basler Onkel mit der […]

Ich bin in der Kleinstadt aufgewachsen. Nicht auf dem Land. Wir legten damals Wert auf diesen Unterschied. Jeder, der mit dem Auto von Zürich nach Bern fuhr, musste durch Bremgarten. An Sommertagen roch die Kleinstadt nach Benzin. Und da war der Fluss.

Mein Zürcher Onkel kam mit der Vespa und mein Basler Onkel mit der BMW – angeln in der Reuss. Die beiden haben immer gedacht, sie seien Städter und wir, ihre Verwandten, Landeier.

Meine Mutter kleidete sich chic. Die Damenmode an der Marktgasse war ihr nicht modern genug. Deshalb fuhr sie mit der Bremgarten-Dietikon-Bahn (BDB) nach Zürich und kleidete sich dort ein. Mein Vater sass jeden Morgen im Halbsechsuhrzug und pendelte nach Schlieren. Und ich setzte mich aufs Fahrrad und fuhr über den Mutschellenpass nach Zürich, denn ich war Leichtathlet und der beste Schweizer Club der LCZ.

Wir fuhren von der Kleinstadt in die Grossstadt. Eine Reise durch Brachland, durch grünes Niemandsland.

Damals wusste ich genau, wo Bremgarten aufhört und wo Zürich anfängt. Wenn ich die Ortstafel Zürichs passierte, reckte ich die Faust hoch und stiess einen Schrei aus.

Dazwischen Pampa.

Natürlich stellten wir fest, dass in der Pampa das eine oder andere Haus gebaut wurde oder schon dort stand, z.B. die Tankstelle auf der Passhöhe samt verruchter Bar. Trotzdem: ein Dorf war ein Kaff. Zufikon, Künten, Hermetschwil. Und Bremgarten war eben kein Kaff. Bremgarten hatte ein Kino und einen Tea Room, ein Theater, einen Sportplatz und Vereine, die Operette…, die endlosen katholischen Prozessionen und die riesigen Jahrmärkte an Pfingsten und Ostern…, die Bezirksschule und das Kadettencorps. Und die Italiener.

Bis der erste Bruch kam… mit dem Einkaufszentrum Spreitenbach.

Inzwischen ist nicht mehr auszumachen, wo Zürich aufhört und wo Bremgarten beginnt. Die Hälfte der Schweizer Bevölkerung lebt in einem Ballungsraum. Er soll gesichtslos, anonym und hässlich sein. Höre ich. Kann ich nicht bestätigen.

Die Agglomeration ist vielsprachig, vielfältig und bunt. Und macht keinen Stress. Denn man muss nicht an jeder Ecke etwas unbedingt gesehen haben.

Die Infrastruktur vorbildlich. Alles bestens erschlossen durch den öV. Trotzdem Autoland. Die Agglo als Chamäleon: Wohnblocks, dorfähnliche Dörfer, schmucke Häuschen, moderne Siedlungen. Industriebauten und Dienstleister vermehren sich, Kreditkartenzentren und Versicherungsgesellschaften sind hochgeschossen. Autohäuser und Outletmärkte boomen. Genügend Parkplätze vorhanden. Ikea, Interio, McPaper und Ottoʼs Versandhaus. Sie stehen nebeneinander, nichts passt zusammen. Es ist beeindruckend. Waldesrauschen. Man muss Augen haben für diese ganz eigene Schönheit der Agglomeration. Bienenhäuser.

Dazwischen bescheidene Bauten, Catering, Cleaning und Recycling. Eine Kiesgrube. Schrebergärten neben Minigolfanlage. Sunrise neben Salt. Froschteich. Schulkinder auf dem Heimweg. Und in unterirdischen Bunkern die Gigawolken von Google und Apple. Maisfelder. Squash-, Badminton- und Tennis-anlagen. Ein Autocrash nach einem nächtlichen Rennen. Das Naturschutzgebiet mit Wandervögeln und Vogelbeobachtern. Das Restaurant Engel (asiatisch) und das Gasthaus Zum wilden Mann (italienisch). Jogger, Skater, Biker. Ein Schwarm Krähen auf dem abgeernteten Sonnenblumenfeld. Feuerwehrmagazin, Mehrzweckhalle. Esso, BP, Aral und Migrol. Im planlosen Nebeneinander sind Kampfsportschulen und Wellnessoasen die Nachbarn verschiedenfarbiger Gottheiten. Christliche Kirchen und asiatische Tempel, Moscheen ohne Minarett und stille Synagogen. Im Verbund mit Boxclubs, Nachtclubs, Bars mit Table Dance und einem Eroscenter mit rot beleuchteten Fenstern.

Die Agglomeration ist eine hässliche Schönheit. In ihr wird gearbeitet, gewohnt, gebaut, entwickelt, konsumiert und gelebt. Und all das mit Karacho.

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Hat einen Draht zur Agglo: Schriftsteller Dominik Riedo.
Stadtbesuch in der Agglo

Online-Spezial: Weder in der Stadt noch auf dem Land, erbaut auf einer betongrauen Agglo-Wiese, vom Strom der Autobahn unterflossen, steht das «Westside»-Einkaufszentrum in Bern-West. Dominik Riedo geht in diesem Zwischenreich für uns auf Spurensuche.

Kein schöner Land

Ich bin in der Kleinstadt aufgewachsen. Nicht auf dem Land. Wir legten damals Wert auf diesen Unterschied. Jeder, der mit dem Auto von Zürich nach Bern fuhr, musste durch Bremgarten. An Sommertagen roch die Kleinstadt nach Benzin. Und da war der Fluss. Mein Zürcher Onkel kam mit der Vespa und mein Basler Onkel mit der […]

photographiert von Pascal Mora.
Bitte angemessen beflaggen!

Bänz Friedli wurde als herumreisender «Pendlerkolumnist» in «20 Minuten» einem Millionenpublikum bekannt – niemand beschrieb die Agglo wie er. Heute sagt er: So richtig kennengelernt habe er sie eigentlich erst, nachdem er das berufliche Gleis gewechselt habe. Ein Werkstattbericht.

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