Pirmin Meier:
«Sankt Gotthard und der Schmied von Göschenen»
Dass der Gotthardpass im Hochmittelalter gangbar gemacht wurde, gilt gemeinhin als Markstein auf dem Weg zur Gründung der Eidgenossenschaft; so fehlt es von jeher nicht an mythologisierenden Überhöhungen dieses Durchbruchs. Eine der erfolgreichsten stammt dabei von dem Langenthaler Pfarrer Robert Schedler, der 1920 in seinem Roman «Der Schmied von Göschenen» versuchte, dem Erbauer des waghalsigsten Strassenstücks durch die Schöllenen ein Gesicht zu geben.
Diesen Stoff erzählt jetzt der Schriftsteller und Historiker Pirmin Meier für Jugendliche (aber nicht nur für sie) neu, wobei er Schedlers romantisierende Geschichte auf ihr Handlungsgerüst reduziert und sie als roten Faden nutzt, um in bunten Exkursen ein Bild von der Welt um den Gotthard im Mittelalter zu entwerfen. Damit erfährt man allerlei über die Grafen von Rapperswil, die heilige Elisabeth von Thüringen, den Abt von Disentis, Walser und Rätoromanen, über alte Fusswege um den Pass, über Berggeister und Teufelsglauben. Allenthalben fühlbar ist, wie Meier sich bemüht, den Trivialmythen des 19. Jahrhunderts ein Bild entgegenzustellen, das dem heutigen Stand der Mittelalterforschung besser entspricht. Anderseits bricht er doch nicht radikal mit allen zweifelhaften Praktiken der älteren Geschichtsschreibung, etwa wenn er von der Volkskunde des vorletzten Jahrhunderts gesammeltes folkloristisches Material zur Rekonstruktion «mittelalterlicher» Mentalitäten einsetzt.
Aus Lesersicht heikler scheint indessen, wie spannungslos Meiers Erzählung daherkommt und wie sehr seine Figuren Pappkameraden und Stichwortgeber bleiben, damit der kommentierende Historiker seine antiquarischen Voten anhängen kann. Man darf bezweifeln, dass sich mit einem solchen Erzählduktus das intendierte junge Publikum («ab 13 Jahren») fesseln lässt – und als Erwachsener hätte man gerade von diesem kulturhistorisch so vielseitig kundigen Autor vielleicht doch lieber eine aufs eigentlich Historische konzentrierte Darstellung gelesen.
Pirmin Meier: Sankt Gotthard und der Schmied von Göschenen. Zürich: SJW, 2011.