Bern – La Chaux-de-Fonds:
1 Stunde, 5 Minuten
Seit der französischen Übersetzung meiner Trilogie werde ich häufig zu Lesungen in dieser Sprache eingeladen. Meine jetzige Lesereise führt mich nach La Chaux-de-Fonds in einen Lesezirkel, der ein «livre du cœur» aus mir gemacht hat. Herzschlag, Herzblut, Herzbuch, herzig. Auf der ersten Etappe von Bern nach Biel schaue ich die Landschaft nicht mehr an. Sie gehört zu meinem Arbeitsweg. Ich entschuldige mich bei ihr und lese die Gedichte von Shaip Beqiri in meinen zwei Sprachen Albanisch und Deutsch. «Hydra des Zorns / Hidra e mllefit.» «Oh ç’ vend mrekullish qenka Zvicra; Was für ein Wunderland ist doch die Schweiz / Das den Kopf hebt wie meine Hydra des Zorns / In Vliesen aus Wolken und Nebeln / Unterm eigenen runzeligen Himmel.»
Kurze Textexplosionen. Texte, die man schreibt, wenn das Leben einen zu sehr einnimmt und man die Bemerkungen und die Fragen dazu in wenigen wichtigen Worten sagen muss und will.
Kaum ziehen erste Jurahügel vorbei, werden die Menschen anders, die Bäume mächtiger, die Weite weiter und die Einsamkeit einsamer. Ich weiss, es hört sich banal an, aber ich kann es nicht anders sagen.
«Die Jagdbeute legen wir auf die Rodung / Strecken uns aus in der Mittagsruhe der Feen / Zu unserem
Tagesschlaf.»
Im Jura packen mich anarchische Gefühle. Ich möchte eine Utopie einrichten, eine Revolution ausrufen. Hier. Auf der Stelle. Zoé, die mich an den Ort der Lesung begleiten soll, spürt meine Veränderung schon während der Fahrt. «Tu vas bien?», fragt sie besorgt. Ich muss mich sehr zusammenreissen, dass ich sie nicht küsse; heftig und politisch küsse.
Die Lesegruppe habe entschieden, Älplermagronen für mich zu kochen. Dies sei doch die grosse urschweizerische Einverleibung der italienischen Küche. Wobei «urschweizerisch» ein wenig übertrieben ist, denn die Maccheroni kamen mit den Arbeitern des Gotthardtunnelbaus um 1870. Die Anhöhen vor La Chaux-de-Fonds haben nun Schnee und Bäume in Blüte zugleich. «Oui, je vais bien.»