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Und dann kam einer den Berg heruntergelaufen, der war nicht ganz

Und dann kam einer den Berg heruntergelaufen, der war nicht ganz Der war bloss Teile seiner selbst, als hätte er sich zusammengesammelt auf dem Weg ins Tal Unten im Tal munkelten die Leute,da oben schicke jemand die Männer auf den Weg, um sie nicht mehr sehen zu müssen Und dann schimpften die Leute über halbfertige […]

Und dann kam einer den Berg heruntergelaufen, der war nicht ganz

Und dann kam einer den Berg heruntergelaufen, der war nicht ganz

Der war bloss Teile seiner selbst, als hätte er sich zusammengesammelt auf dem Weg ins Tal

Unten im Tal munkelten die Leute,da oben schicke jemand die Männer auf den Weg, um sie nicht mehr sehen zu müssen

Und dann schimpften die Leute über halbfertige Gestalten im Wirtshaus, die stets mehr Bier tranken als alle anderen

Einmal wollte einer so einem eine Hand anbieten, aber der andere lehnte sie dankend ab

Die anderen aus dem Dorf nickten abfällig, und einer spuckte wütendauf den Boden

Nach einiger Zeit, in der sie unten im Tal herumgelungert waren, brachen die Gestalten auf, am helllichten Tag, indem sie an den Dorfrand gingen und sich kurz umdrehten

Sie waren zu weit weg, als dass man ihre Augen sehen konnte, oder den Ausdruck auf ihren Gesichtern

Man hätte Jazz spielen sollen, wenn sie gingen, aber da war jeweils nur ein Schwyzerörgeli

Nachher sassen die Frauen auf dem Dorfplatz um den Brunnen und weinten; und gebar eine ein Kind, dessen Vater keiner aus dem Dorf war, zeigten die Leute auf den Berg und nickten

Es waren die jungen Männer im Dorf, die die Halbfertigen am meisten hassten, aber tun konnten sie nichts: Wer wollte seine Kräfte messen mit denen

Und dann kam einer den Berg heruntergelaufen, der war nicht ganz

Keiner traute sich je, den umgekehrten Weg zu gehen: der bis ganz hoch galt als unverzeihbar; und selbst wenn sich eine Kuh oben an den Hang verirrte, liess man sie dort

Auf Bitten des Gemeinderates riss man sich zusammen und gab sich Mühe, das Leben zu nehmen, wie es kam

Aber als in diesem einen Sommer häufiger Gestalten vom Berg in das Dorf kamen, bewirkten auch die Bitten des Gemeinderates nicht mehr viel

Als ob die Gemüter nicht schon genug angespannt waren, weil das Wasser fehlte und die Kühe draussen die Nächte durchschrieen, ohne dass der Tierarzt zu helfen wusste

Aus Angst sperrten die Väter ihre Töchter in die Zimmer ein, und der Dorfplatz blieb gespenstig leer

Der Wirt verbot den Ausschank an jene, die stets schauerlicher des Weges kamen, kaum einer passte noch zusammen, und manch einem Dorf-bewohner verschlug es den Atem, wenn er einer der Gestalten zu nahe kam

Einige sagten ein paar Brocken in derselben Sprache, aber viele blieben stumm und schauten nur, und die Dahergelaufenen und die schonimmer Hiergewesenen warfen einander immer feindseligere Blicke zu

Es beschuldigte einer den anderen, zu feige zu sein, um auf den Berg zu steigen und nach der Ursache zu suchen, und man begann, sich gegenseitig die Felder zu zerstören und in den Wunden zu stochern, die am meisten schmerzten

Man hätte Blues spielen sollen, aber stattdessen holte einer das Hackbrett aus dem Keller hervor

Wenn die Halbfertigen nun gingen, drehten sie sich nicht mehr um, sondern verliessen das Dorf mit hängenden Schultern

Keiner fragte je, keiner fragte

Alle schienen stets zu wissen, was geschehen war, und warum die ins Dorf kamen

Noch einen solchen Sommer würde er nicht mitmachen, sagte der Gemeindevorsteher zu seiner Frau am Abend, er wolle doch nur, dass es wieder so sei wie früher

Und dann kam wieder einer den Berg heruntergelaufen, der war nicht ganz

Der wurde unterwegs so gemacht, wie er im Dorf eintraf, sagten die einen

Der hat sich selber so zugerichtet, wie er im Dorf eintraf, sagten die anderen

Aber keiner wollte deren Geschichte kennen, es liesse sich nicht mit denen reden, nicht so, wie es sich mit denen hier reden liess

Zu wenig sei da, selbst für diejenigen, die hier waren, rief man im Wirtshaus und schlug mit der Faust auf den Tisch, und man beliess es beim Wegschauen

Gegen Ende des Jahres kam man zusammen und teilte das, was noch übrig war, und viele waren froh, dass der Winter kam, weil im Winter die Wege eingeschneit waren

Die einen schärften die Messer und stellten die Äxte vor die Haustüren; und wenn der Mond voll war, spiegelte er sich in den fein geschliffenen Klingen

Als keiner mehr kam, gab es nichts mehr, worüber sich zu erzürnen lohnte, und man stellte die spitzen Klingen hinter das Haus

Fortan blieb jeder Stein auf dem anderen, und alles war so, wie es von jeher gewesen war

In der Mehrzweckhalle neben der Schulhausanlage probte der Männerchor ein neues Lied

Zwischendurch wanderten die Blicke zum Hang, und die Körper spannten sich an, für einen kurzen Moment, bis man sich wieder abwandte und den Tagen widmete, die einander glichen

Lange würde es nicht dauern, bis es wieder von vorne losging, das wussten alle, aber noch


 

Hanna Widmer
ist die Gewinnerin des ersten TREIBHAUS-Literaturwettbewerbs 2017, der am 1. Juli  im Rahmen des Literaturfestivals Leukerbad stattfand. Sie ist hauptberuflich Lehrerin in Zürich und widmet sich nebenbei der stetigen Realisierung verschiedener musikalischer und literarischer Ideen. Sie ist Mitgründerin von «Stereofeder», einem Magazin für vertonte Literatur, und gehörte Anfang Jahr bereits zu den Gewinnerinnen des Literaare-Schreibwettbewerbs in Thun. Das nächste TREIBHAUS-Finale findet am 6. November im Kaufleuten Zürich statt.

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