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Verlogenes Pack

Trash ist uninteressant. Interessant ist das Gespräch darüber: denn es dreht sich stets um die kulturelle Distinktion zum Höheren über die Kenntnis des Niederen. Aber warum eigentlich? Ein Versuch.

Verlogenes Pack
Illustration: Corinne Mock.

Die akademische Rede über Trash steht sich dauernd selbst im Weg. Den Gegenstand, mit dem sie es zu tun bekommen will, klassifiziert sie nämlich immer als ein Phänomen, das die ästhetische Ordnung stört, einen Gegenstand, den man aber als kulturtheoretisch sich gebender Verstand nicht einfach quer im Raum stehen lassen kann, sondern ihn sofort wieder reflexiv in selbigen zurückholen muss, obwohl er vermeintlich gar nicht hineingehört. Oder einfacher: Trash ist niemals das gewesen, was draussen – in der Gosse, in den Tonnen, auf den Halden – lagert. Trash war vielmehr immer das, von dem behauptet wurde, dass es unverkennbar zum Schutt der Kultur gehöre, das in Wahrheit aber auf der Schwelle zum Salon, an den Rändern des Feuilletons und – natürlich – in den hippen Bezirken der Kulturwissenschaften sich ablagerte.

Die Unordnung des Diskurses

Man muss also gar nicht erst damit anfangen, zwischen freiwilligem und unfreiwilligem Trash, zwischen Hochkultur und Low Culture zu unterscheiden, um zu verstehen, was mit Trash gemeint ist. Es ist gerade umgekehrt: Trash als Gegenstand der intellektuellen Auseinandersetzung mit Kunst generiert diese Unterscheidung erst einmal. Und das gilt auch für die hier nun folgenden Überlegungen. In einer literarischen Zeitschrift, eingeklemmt zwischen Klossek, Ingold und Kampa, über Fantasy und Fernsehen, Chartmusik und Provinzkrimis zu schreiben, ist ja zunächst auch nicht mehr als eine Geste. Man steht da bei einem gediegenen Apéro, macht eine Flasche Bourdieu auf und dann, wenn die Konversation einschläft, zeigt man auf den Teller mit dem ranzigen Stück Fleisch, das streng riecht, blutet und von allen gemieden wird. Und dann redet man darüber, warum das so gar nicht ins Menü passt und dass es natürlich gerade deswegen doch passt. Den Metzger von der Diskurstheke kenne man noch von früher, das sei mal noch so recht einer ohne Verstand, mit Herz und Seele, Bolzenschussgerät. Klar, wir alle kennen ihn und wollen ihn gekannt haben, aber zur Tür rein kommt er uns bitte nicht, Catering: nein, danke. Lieferservice langt.

Das Zeug selbst ist folglich uninteressant, es geht um das Gespräch darüber, um die kulturelle Distinktion zum Höheren über die Kenntnis des Niederen. Mit anderen Worten: verlogene Sache. Andererseits ist man auch nicht der erste, der auf den Umstand hinweist, dass «Trash» eigentlich immer das Reden über Trash meint und das Reden über Trash wiederum seinen Reiz aus der Suggestion zieht, die eigene primitive Seite zumindest so gut zu kennen, dass man sie hinter sich lassen darf. Schon Dietmar Daths nahezu alle germanistischen Trashreflexionen durchspukender Briefroman «Die salzweissen Augen» (2005) hat ein Auge für die Heuchelei dieses Diskurses und seiner Teilnehmer gehabt: Die Connaisseurs des schlechten Geschmacks sind nicht selten auch diejenigen, die jene, die den schlechten Geschmack verkörpern, verachten und dem Klassizismus der «Bildung» aussetzen.

Definitionsschwierigkeiten

Allen umherschwirrenden Definitionen zum Trotz – und vorerst auch in völliger Ignoranz der feinen Unterschiede zwischen Trash, Kitsch, Camp etc. – empfiehlt es sich fürs erste, eng am Wortsinn zu bleiben. Wer Kultur als Trash bezeichnet, der hat damit vorrangig eines im Sinn: nämlich den ideellen Anspruch des jeweiligen Gegenstandes zu bestreiten und ihn ganz auf seine Materialität zurückzuwerfen. Freigelegt wird dadurch dessen restlose Verhaftung in einer auf massenhaften und rasch erfolgenden Konsum angelegten Gesellschaft mitsamt ihren Produktions- aka Herrschaftsverhältnissen. Mit anderen Worten: Trash per se ist nicht kritisch, sondern sedierend. Er reflektiert die Strukturen seiner Umwelt nicht, sondern reproduziert sie. Trash ist die Wahrheit der Kulturindustrie, also das, was übrigbleibt, wenn man den zivilen Harnisch weglässt. Max Goldt hat mal irgendwo geschrieben – es ging da, wenn ich mich recht entsinne, unter anderem um das Fernsehprogramm –, der Samstag sei «der Faschist unter den Wochentagen». Das ist in etwa das, was sich auch über den Trash sagen liesse: das Futter für diejenigen, die werktags schuften müssen, triebaufgeladen, garstig, roh, im kaum verhüllten Zweck zugleich erniedrigend. Trash ist für jene Leute, die in den Augen derjenigen, die ihn produzieren lassen, selber Trash sind.

Nun stösst eine solche Beobachtung erwartungsgemäss auf Widerspruch. Trash sei doch sehr wohl subversiv, demaskierend, eine Systemstörung. Falsch ist das nicht. Aber um das sehen zu können, bedarf es immer eines symptomatisierenden Blicks, der das Gesehene, Gehörte und Gelesene verdichtet und gegen die Ordnung kehrt, die es hervorgebracht hat. Das kann auf unterschiedliche Weise geschehen, am offensichtlichsten im Kommentar. Sprich: der «Bachelor» als «TV-Ereignis» ist Trash und in keiner Weise hintersinnig. Der «Bachelor» als Gegenstand einer versierten Kolumnistin einer grossen Tageszeitung bleibt Trash, wird aber nun zugleich auch zum Spiegel einer Leserschaft, die erkennen muss, dass von ihrem durch kulturelles Kapital vermeintlich abgesicherten Standpunkt durchaus Wege in den heroischen Kosmos des Privatfernsehens und der Gratiszeitungen führen. Der Kommentar ist freilich nur die durchsichtigste Form der Trash-Reflexion. Subtiler sind das Zitat oder die «Hommage», das Aufsaugen von B-Movie-Traditionen in Tarantino-Filmen, das Samplen von 80er Pop durch Indie-Electro-Klitschen. Ironisch gebrochen oder nicht, die Message bleibt auch hier die gleiche: der Dreck der Zeiten gibt uns was. Oder genauer: er verrät uns etwas über uns. Aber was?

Betrachtet man das Phänomen Trash vor dem Hintergrund dessen, was sonst so unter dem Signet «Kultur» firmiert, so lässt es sich durchaus bündig charakterisieren. Der Filmwissenschafter Keyvan Sarkosh hat in einem Beitrag über «‹Trash› als ästhetische Kategorie der Postmoderne» als wesentliches Merkmal des Trash «Unterkomplexität bei gleichzeitiger Übercodierung» ausgemacht. Will heissen: Handlungsstrukturen und -motivierungen werden nebensächlich, wichtig wird Motivik, Oberflächengestaltung, Wirkung, mit anderen Worten: Körper. Das ist zweifellos richtig, hat die Trashdebatte aber immer stärker auf die Bereiche Pornographie und Horror verengt und zu einer Drastikdebatte werden lassen. Literarisch ist dem Trash dann kaum noch beizukommen, denn es gibt zwar natürlich pornographische und blutrünstige Literatur, aber die Drastik ist es nicht (oder nicht allein), die Literatur zwangsläufig zu Trash werden lässt. Also: sortieren wir den Müll.

Recycling statt Inventio

Literarischen Trash erkennen wir vor allem anderen an der gezielten Vernachlässigung der Inventio. Wer Trash schreibt, der fängt nicht von vorne an, sondern – um im Bildfeld zu bleiben – recycelt. Richtig: Trash ist erst einmal Wiederverwertung. Vom Phänomen der Intertextualität trennt ihn eigentlich nur der Umstand, dass die von ihm wieder verwerteten Schemata, Bilder und Phrasen so basal sind, dass sie sich nicht auf bestimmte Texte, sondern nur auf Textkohorten (lies: Serien, Reihen, Heftchen usw.) zurückführen lassen. So scheint es uns selbstverständlich, dass gewisse Genres immer wieder dieselben Handlungsmuster, Szenarien, Stereotypien, Motive und Dialoge hervorbringen. Pierre Bourdieu spricht in dem Zusammenhang von «Paraliteratur» und meint damit insbesondere Genres wie Horror, Fantasy oder Science Fiction, die einerseits relativ strikten Kompositionsprinzipien unterliegen, andererseits deswegen auch leicht in Serienproduktion zu geben sind. An der historischen Entwicklung der literarischen Ästhetik nehmen diese Texte nicht teil, es handelt sich um abgegrenzte Felder mit eigenen Spielregeln und Codes. Ohne den Trash vorschnell mit der «Paraliteratur» identifizieren zu wollen, lassen sich doch auf dieser Grundlage einige systematische Beobachtungen zum Wesen von literarischem Trash anstellen.

Zunächst einmal sollte man davon ausgehen, dass Trash nicht nur ironisch oder in ästhetischer Bewusstlosigkeit produziert und rezipiert werden kann. Hinter der Eigengesetzlichkeit des Trash, der Reduktion von Komplexität, der Redundanz von Szenen, Formen und Handlungen kann sich nicht nur sehr wohl eine bewusste künstlerische Entscheidung, sondern auch eine ganz eigene ästhetische Erfahrung verbergen. Spricht man etwa mit den Verfasserinnen und Verfassern der zahllosen Schweizer Regionalkrimis (die für einen ganz gehörigen Anteil der jährlich produzierten und vor allem verkauften Schweizer Titel verantwortlich sind), so wird man dort – Glauser und Dürrenmatt hin oder her – nur selten auf ein überhöhtes Wirkungsverständnis treffen. Vielmehr ist es gerade das Bekenntnis, «generische» Texte zu verfassen, das viele von ihnen erst arbeiten lässt. Verkennen darf man nicht, dass dort, wo die Herrschaft des Geschmacksurteils erst einmal gekappt ist, auch die an sie gekoppelten hierarchischen und oppressiven Produktionsverhältnisse fallen. So gehören etwa das kollaborative Arbeiten, das ekphrastische Erzählen (sprich: das Cover steht fest, wer hat die Geschichte dazu?) sowie die Rückkopplung von Autoren und Leserinnen – oder «Fans» – auch genuin zum literarischen Trash; zumindest sind sie dort viel stärker verankert als in der Salonbelletristik. Insofern sich also gerade auf diesem Feld zukunftsträchtige Kulturtechniken entwickeln können, besitzt der Trash auch immer emanzipatorisches Potenzial. Besser gesagt: Trash ist das Schlachtfeld, auf dem entschieden wird, welchen Platz das Schreiben und Lesen von Texten in der Gesellschaft unter extremen Bedingungen für sich beanspruchen kann – und wie dieser Platz verwaltet werden soll. Nicht die «chosen few», mit denen sich die Literaturgeschichtsschreibung einst schmücken wird, entscheiden das soziale Schicksal der Literatur. Von ihnen hängt anderes ab. Das Überleben der Literatur wird indessen in den gesellschaftlichen Randzonen gesichert, dort, wo jede Zeile, jede Seite Aufmerksamkeit erkämpft werden muss. Und von dorther transformieren und revolutionieren sich auch die Lese- und Schreibgewohnheiten, denen am Ende alle Texte unterworfen sind.

Affekt, Konsum, Ästhetik

Zugleich ist zu konstatieren, dass eine Revision unserer Haltung gegenüber dem literarischen Trash nicht ohne eine Revision unseres Begriffs von ästhetischer Erfahrung erfolgen kann. Jede Rede über Trash, die darauf abzielt, sich dem Schund auszusetzen, ohne den eigenen Standpunkt zu verlassen, muss ganz zwangsläufig eine snobistische bleiben. Nichts erregt bekanntlich mehr Ekel als das feuilletonistische Lob von «Trivialliteratur», mit dem den armen Seelen, denen die preisgekrönten Titel fremd bleiben müssen, die Brosamen vom Tische des Herrn zur geistigen Zurüstung verordnet werden – und das natürlich zugleich der Stammleserschaft kommunizieren soll, man verfüge über die wundersame Gabe, Abwasserkanäle zu durchschwimmen, ohne sich schmutzig zu machen.

Tatsächlich wissen wir viel zu wenig über die ästhetische Erfahrung, die sich mit dem Konsum von Trash verbindet. Solange wir damit beschäftigt sind, Lektüre – welche auch immer – konsequent als Bildungserlebnis einzupreisen, das wir dann auch in Western, in Starbiographien oder in der Pornographie suchen, verfehlen wir zielsicher die Besonderheit des Trash. Augenblicklich begreifen wir die Produktion und Rezeption solcher Segmente entweder nur in der Gestalt ihrer ästhetischen Brechung und Überformung – oder eben als Freizeitgestaltung. Gesucht wäre indessen ein Drittes. Das heisst: gesucht wäre eine Sprache, in der der Umgang mit maximal verdichteten, redundanten, rohen und garstigen Erzählkonzepten fassbar wäre, ohne diese dabei wieder sofort zu einem ethnologischen Sonder- oder Regelfall zu degradieren. Gesucht wäre mithin ein neues Verständnis affektbeladenen, rein konsumptiven Schreibens und Lesens. Und jetzt: legen Sie sofort das «Heftchen» weg!

 

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Illustration: Corinne Mock.
Verlogenes Pack

Trash ist uninteressant. Interessant ist das Gespräch darüber: denn es dreht sich stets um die kulturelle Distinktion zum Höheren über die Kenntnis des Niederen. Aber warum eigentlich? Ein Versuch.

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