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Editorial #19

Unvergessen der Abend, an dem ich – als Teenager – erstmals den Antikriegsfilm «Die Brücke» (1959) des Schweizer Regisseurs Bernhard Wicki sah. Unvergessen auch der Morgen, an dem unser Deutschlehrer in der Oberstufe aus Remarques «Im Westen nichts Neues» (1929) vorlas. Unvergessen ohnehin die nächtliche Lektüre der ersten Seiten von Christian Krachts Welt-und-Winterkriegs-Dystopie «Ich werde […]

Editorial #19

Unvergessen der Abend, an dem ich – als Teenager – erstmals den Antikriegsfilm «Die Brücke» (1959) des Schweizer Regisseurs Bernhard Wicki sah. Unvergessen auch der Morgen, an dem unser Deutschlehrer in der Oberstufe aus Remarques «Im Westen nichts Neues» (1929) vorlas. Unvergessen ohnehin die nächtliche Lektüre der ersten Seiten von Christian Krachts Welt-und-Winterkriegs-Dystopie «Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten» (2008). 

Egal ob verblutende Kinder, die im Wahn des deutschen «Volkssturms» fest entschlossen sind, in Eigenregie eine Brücke gegen die Alliierten zu halten, ob junge Erwachsene, die die Reste ihrer Kameraden auf einem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs finden, oder ob wahnsinniges Stahlgewitter im und über dem Schweizer Reduit: das organisierte gegenseitige Abschlachten innerhalb unserer Spezies gerinnt in Form der verdichteten Erzählung zum erschreckenden Mahnmal für alle, die es nicht selbst (üb)erlebt haben.

Wir, die wir dieses Magazin gestalten, kennen den Krieg Gott sei Dank auch nur aus Erzählungen. Gemeinsam haben wir diesen Sachverhalt mit dem Land, in dem das Magazin produziert wird – zumindest, was die letzten gut 150 Jahre angeht: die moderne Schweiz kennt den Krieg innerhalb der eigenen Landesgrenzen nur vom Hörensagen. Auffällig also, dass er als Gegenstand hierzulande eine reiche literarische Tradition hat. In den letzten Monaten spürten wir ihr nach und waren überrascht, wie lebendig sie bis heute ist. Mehr ab S. 6.

Mir bleibt, Ihnen umso friedlichere Lektüre, ruhige Festtage und einen guten Start ins Jahr 2015 zu wünschen. Bleiben Sie uns treu!

 

PS: Unsere Favoriten des Jahres 2014:

Heinz Helle: «Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin» (Suhrkamp). Debüt des Jahres: ein junger Philosophiestipendiat
besucht das winterliche New York, verliert bald den Forschungsfaden, dann die Freundin und schliesslich auch sich selbst.

Robert Seethaler: «Ein ganzes Leben» (Hanser Berlin). Er hinkt! Ist aber deshalb der einzige, der am Berg geradestehen kann. Also baut
Andreas Egger ein halbes Jahrhundert lang Seilbahnen. Schnörkellos, poetisch, dramatisch – ein grosses kleines Buch.

Zadie Smith: «London NW» (Kiepenheuer & Witsch). Formale Literatur – in schön, schlau und witzig. Egal wie verwirrend Herkunft und
Zukunft auch sein mögen, in der Gegenwart hilft immer noch Jay-Z’s «Reasonable Doubt».

Jean-Philippe Toussaint: «Nackt» (FVA). Der mit Abstand beste Satz des Buchjahres 2014: Seite 78 aufschlagen und laut auflachen.
Belgisch, kafkaesk, präzis – und glücklicherweise Teil einer Tetralogie.

Wato Tsereteli: «Re:Museum» (Goethe-Institut Georgien / Georgisches Nationalmuseum). Nicht aus dem Belletristikregal! Dafür der Aventûre- und Bildungsroman in Gesprächsform: von einem, der auszog, das Museum, den alten Drachen, herauszufordern und in die Knie zu zwingen.

Leo Tuor: «Cavrein» (Limmat). Keiner schreibt schöner über Berge, Steinböcke und die Böcke, die die Jagdverwaltung schiesst. Literatur ohne Knalleffekte; klein, fein und listig.

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