Viola Rohner: «42 Grad»
Ein toter Hamster, eine untreue Verlobte, eine Möchtegernautorin, ein verzweifelter Rentner, ein sterbender Hund. Sie alle bringen in Viola Rohners Erzählband «42 Grad» das eigene oder ein anderes Leben gehörig ins Wanken. Plötzlich werden Menschen vor existenzielle Fragen und Aufgaben gestellt, die sich eben noch in ruhigem, vielleicht allzu ruhigem biografischem Fahrwasser glaubten. Sie straucheln, zweifeln, sind hin- und hergerissen zwischen Ausbruch, Aufbruch und Hoffnungslosigkeit, zwischen Abenteuer und Rückkehr in einen banalen Alltag, dem sie eigentlich entfliehen wollen. Mal ausgelöst durch Schock oder Gewalt, mal hinterhältig still und leise verschieben sich Prioritäten und Bilder, und eigentlich schon feststehende Lebensentwürfe nehmen verstörende Wendungen.
Rohners Sprache ist unaufgeregt, nahezu sachlich. Klar und scharf skizziert sie ihre Figuren und deren irgendwie verkacktes Leben, ihre Einsamkeit, Traurigkeit oder Abgestumpftheit. «Er schenkte ihr nicht ein. Vermutlich wollte er sie strafen für ihre Unentschlossenheit, für seinen vergeblichen Gang, den sie verursacht hatte.» Ob im Zug von Moskau nach St. Petersburg, im australischen Outback oder in einem Schweizer Vorort, jede Erzählung birgt ein Schicksal, dem sich die Figuren und auch der Leser nicht entziehen können. Obschon auch immer wieder ein Funken Hoffnung aufglimmt und auch das Ende der Geschichten meist offenbleibt und so zumindest die Möglichkeit eines positiven Ausgangs besteht: In bereits deprimiertem Zustand sollte man das Buch besser nicht lesen. Es sind nicht Melancholie und Morbidität, die einem aufs Gemüt schlagen könnten, es ist die lakonische Beschreibung jener traurigen Realität, die die Protagonisten in Rohners Erzählungen ereilt: «Miriam schaute zum Himmel. Der Mond war nur noch ein unscheinbares, kaum entzifferbares Zeichen.»
Der Männedorfer Autorin, die neben Germanistik, Geschichte und Theaterwissenschaften auch Psychologie studiert hat, scheint kein seelischer Abgrund unbekannt. Ein Schwachpunkt des Buches: Es kommt völlig ohne Humor aus. Der würde die Tristesse und Ausweglosigkeit, die mitunter über Rohners Figuren schweben, ein wenig auflösen und den Leser nicht mit einem Kloss im Hals zurücklassen. Rohners grosse Stärke: Nichts ist vorhersehbar, man bleibt bei jeder Geschichte bis zum bitteren Ende gefesselt, auch wenn oder gerade weil nichts im eitel Sonnenschein endet. Wie im richtigen Leben ja auch.
Viola Rohner: 42 Grad. Basel: Lenos-Verlag, 2018.