Andreas Niedermann: «Das Glück der falschen Fährten»
Wiener Country
Andreas Niedermanns «Das Glück der falschen Fährten» ist ein Buch wie ein Sommernachmittag mit einem Kasten Bier am See. Friedlich, sich selbst genügend, mit einer nicht verbalisierbaren Sehnsucht – etwas glitzernd, etwas flüchtig. Wie in den meisten seiner Werke seit dem Debüt «Sauser» (1987), der Schweizer Antwort auf Bukowskis «Der Mann mit der Ledertasche», schreibt Niedermann in seiner jüngsten Novelle eine autobiografisch gefärbte Story über einen Schriftsteller, der einen gutbezahlten Vortrag schreiben sollte. Frau und Kinder sind (im Guten) temporär nach Irland gezogen, die Familienwohnung ist für ein Jahr untervermietet (an ein Zürcher Paar aus der IT-Branche) und der Ich-Erzähler namens Niedermann steigt in seiner alten Junggesellenbude ab. Darin macht er sich durchaus auch Gedanken über das Einrichten: «Ich hasste Möbel noch mehr als Irland, wobei ‹hassen› das falsche Wort war (…) sie erschienen mir entsetzlich überflüssig…»
Der Text wäre an dieser Stelle zu Ende, würde sein Vermieter nicht die Countrysängerin Lucinda Williams bei ihm einquartieren, die in Wien inkognito ihre zerschlissenen Stimmbänder behandeln lässt. Der Autor mag zwar keine Gesellschaft, ist aber ein erklärter Fan; «… deren Song ‹West› mich zu Tränen rühren konnte so prall vor Sehnsucht, Schmerz und Poesie». Niedermann bewies bereits mit seiner Storysammlung «Country», einem Buch, das sich liest wie ein Outlaw-Country-Album, seine Affinität zu diesem Musikstil.
Der Umgang zwischen den beiden Mitbewohnern ist stets sehr respektvoll, gesprochen wird so gut wie nichts – und wenn, vor allem vonseiten Niedermanns (Stimmbänderbehandlung!). Williams bleibt ein Phantom, mit dem sich der prokrastinierende Autor wohl lieber rumschlägt als mit der Schreibarbeit. Dazwischen blitzen autobiografische Backflashes sowie zeitgenössische Betrachtungen auf und alte Countrystars besuchen Niedermann in seinen Träumen. Sprachlich ist das Buch messerscharf geschrieben, jedes Wort sitzt, jeder Satz ist ausbalanciert – und doch liest es sich wie eine entspannte Plauderei. Für einen Autor etwas vom Anspruchsvollsten überhaupt.
Am besten liest man «Das Glück der falschen Fährten» an einem Stück (dass man es lesen soll, ist keine Frage!), ein Lucinda-Williams-Best-of zum Anschlag aufgedreht, dazu einen Bourbon, einen Scotch, ein Bier.
Andreas Niedermann: Das Glück der falschen Fährten. Wien: Edition Baes, 2019.