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Wenn das keine Fremdsprache wäre

Der Graben und ich # 1

 

Der Ausdruck «Zuhälter des ewigen Schnees» schien mir so treffend, dass ich wieder Lust bekam, den Kanton Schwyz zu besichtigen. Da hatte ich einige Jahre beruflich viel zu tun und konnte die verbauten Hänge irgendwann nicht mehr sehen. Das poetisch-politische Manifest, das Maurice Chappaz 1976 verfasst hat, entdeckte ich aber erst 2017. Jérôme Meizoz verweist in seinem Roman «Haut Val des Loups» auf Chappaz. In beiden Texten spielen das Wallis und seine Bauwirtschaft zentrale Rollen. Bei Meizoz steht ein junger Mann im Zentrum, der etwa meiner Generation angehört. In den Jahren 1989 bis 1991 engagierte er sich auch in ziemlich genau denselben politischen Bewegungen wie ich. Und doch bekam ich 1991 nicht mit, dass ein Aktivist des WWF im Unterwallis überfallen und lebensgefährlich verletzt worden war. Er überlebte. Eine polizeiliche Ermittlung verlief auf mysteriöse Weise im Sand. Der Verdacht, es habe sich um eine Warnung an alle gehandelt, die sich für eine Begrenzung der Bautätigkeit aussprachen, blieb.

Meizoz schreibt aus der Distanz von über zwanzig Jahren und findet eine Sprache, die den Pamphleten und Debatten jener Jahre entkommt und gerade deshalb freilegt, was den jungen Mann umtreibt, ernüchtert und ängstigt. Dieses Buch auf Französisch zu lesen, schien mir die Distanz, aber paradoxerweise auch die Intimität zu verdoppeln. Da klang nichts nach dem Milieu, aus dem ich selber komme, und doch hatte ich noch nie so sehr das Gefühl, ein Buch über meine eigene Geschichte zu lesen. Dass Annie Ernaux ein Vorwort zu einem weiteren Buch von Meizoz geschrieben hat, rückt dieses Empfinden in ein leicht glamouröses Licht. Da eröffnen sich Verbindungen vom Unterwallis zu einer Lieblingsautorin in Paris. Und von dort in die ganze frankophone Welt: In Paris habe ich auch karibische Literatur kennengelernt. Weil Französisch viel weiter reicht als Deutsch, bilde ich mir gerne ein, das sei gar keine Fremdsprache, sondern eine föderal anverwandte. Dann kann ich auch Zürich als Knotenpunkt in einem Netz verstehen, das Martigny mit Martinique verbindet.

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