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Die Verwandlung
Nora Gomringer, fotografiert von Judith Kinitz.

Die Verwandlung

Auch «Fitzel» können unter die Haut gehen. Eine Collage.

Der Zettel ist die wohl kleinste Blatt-Sinn-Einheit für einen Schreibenden. Vielleicht noch der «Fitzel», das «Fitzelchen», das sich dann proverbial auch auf den Verstand legt. Bist du «verzettelt», so hast du dich verfahren, wie man sich etwa im Rahmen eines Ver-fahrens oder im Rahmen eines «Anzettelns» von allerlei Dubiosem vertun, verbummeln, verschleudern, verstreuen kann. Verzettelt hast du dich, wenn alles fragmentiert, nicht im Ganzen mehr erhältlich, kleinteilig geworden ist in dir und deine Aussenwelt diesen Zustand bemerkt. Eine Folge davon zeigt das Foto gegenüber: den Strafzettel, den es en bloc gibt.

Der Zustand des Verzettelt-Seins kann dich unglücklich machen, aber auch befreien.

Ist nicht gesagt, dass nicht auf jedem Zettel etwas Schönes, Wichtiges, Aufregendes, Hinreissendes zu finden ist. Und darum herum sowieso.

Nota bene non

Als Nora Gomringer eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem Abteil zu einem ungeheuren Zettelwesen verwandelt. Unbeschriftet – gottlob! – drangen die Zettel ihr in die Sinne und direkt aus den Sinnen heraus. Die Augen blieben nicht verschlossen vor der immensen Flut. Die Hände hatten Zettelhäute zwischen den Fingern ausgebildet, aus der Nase lösten sich mit lautem Niesen ganze Blöcke gelber Kleinstpapiere und aus den Ohren quollen ihr Zettel, die sich ob der Enge der Gehörgänge zu festen, kleinen Rollen gewunden hatten. Die Dichterin fand sich durch die Präsenz der durch die Zettel manifestierten «Möglichkeit von Nachricht, Überlegung und Mitteilung» ins für sie selbst Unfassliche verstört, aber auch physisch in Mitleidenschaft gezogen. Die Verzettelung der Nora Gomringer war ein durch und durch unangenehmer Prozess, der der Dichterin wie auch ihrer Umwelt grösstes Unbehagen bereitete. Ob sie gynäkologische oder gar proktologische Einschränkungen oder gar Befreiungen  – ?! – als Folge der Verzettelung erlebte, wagte nie ein Mensch zu fragen.

TattooDu

Der Psychologin brauche ich damit nicht zu kommen: den eigenen Vater auf die Haut schreiben! Ein Gedicht des Vaterdichters! Ich selbst habe mich drei Jahre darauf vorbereitet und mit dem Tätowierer die lebenslange Zeichnung geplant. Dabei verzettelt man sich dennoch leicht. Ein anderer Text, ein anderes Hautquartier, alles vage Parameter, bis die endgültige Entscheidung fällt. Diese Grösse dieses Textbildes dieses Dichters an genau dieser Stelle. Alles andere ist Trash.

 

 

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In Reih und Glied: Stifte von Ludwig Hohl (SLA, Bern).
 © Schweizerische Nationalbibliothek (NB), Simon Schmid.
Am Schreiben bleiben

Verzettelt sind sie alle – ob Petrarca oder Sargnagel. Ein Disput über Bilder von der Schriftstellerei, geführt mit Max Frisch aus der Tube.

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