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«Hilfe, wir stürzen ab!» 
 «Erst jetzt?»

41 Ausgaben «Literarischer Monat» – Missionsbericht aus dem Cockpit eines Himmelfahrtskommandos.

 

Die so freundlichen wie eloquenten Damen bei der Pro Helvetia schauten sich nach der Präsentation zuerst verdutzt an, dann schüttelten sie ungläubig den Kopf. «Sie haben das Ziel, ein Literaturmagazin für die Schweiz über … Abonnemente zu finanzieren?» Seit Hermann Burgers Auftritt mit Sturmgewehr auf der Frankfurter Buchmesse hatten sie wahrscheinlich nichts Abwegigeres gesehen und gehört. Ob sie damals schon Mitleid hatten? Oder glaubten sie doch an die Markttauglichkeit des «Literarischen Monats» – 24 Seiten pro Heft, so der Projektplan, mit und über Literatur?

Kurz darauf erreichte uns jedenfalls eine «Anschubfinanzierung», beglaubigt von jenen offenbar doch begeisterten ­Damen, und das perpetuierte Himmelfahrtskommando startete im März 2011 tatsächlich. Die Resonanz war ganz genau, wie wir sie uns ausgemalt hatten: «Das Magazin, das in der Schweiz gefehlt hat» nannte Peter Stamm das entstandene Produkt, die Literaturkritikerin Pia Reinacher einen «Stachel im Fleisch des eingesessenen Schweizer Feuilletons!». Die ­Arbeitshypothese allerdings, dass all jene, die sich wahlweise über Feuilletons, Kulturredaktoren mit Alkoholproblemen, zu wenig Medienvielfalt in Helvetien, waschlappige Kritiker oder zu viel Kungelei im «Kuchen» beschwert hatten, nun zum Kiosk eilen oder gleich ein Abo lösen würden, hat sich nie bestätigt. Die abonnierte Leserschaft pendelte sich irgendwo im mittleren bis oberen dreistelligen Bereich ein, dazu ­kamen die Abonnenten des «Schweizer Monats», die ebenfalls beliefert wurden. Gratis – schon der nächste Fehler. Wir wissen bis heute nicht, wie ­viele dieser Menschen mit dem LM ihren Kamin anfeuerten oder das Katzenklo auslegten – aber eben auch nicht, wie viele die nächste Ausgabe kaum erwarten konnten und gern für das Heft gezahlt hätten, auch mehr als 50 Franken jährlich.

Schön also einerseits, wenn man sein Publikum findet, gut fürs Ego, wenn die Besten einen loben. Dumm nur, wenn die Abos höchstens 10 Prozent des Verlagsaufwands kompensieren. Ein Markterfolg wurde der «Literarische Monat» also nie. War das Produkt dennoch erfolgreich? Messen wir es doch an seinen eigenen Zielsetzungen.

1. Den Diskurs beleben

Klingt fürchterlich, macht Pickel, hilft nix, ist aber so. Der «Literarische Monat» wollte nie nur Plattform für Literatur sein – sondern Plattform für das Reden über und mit Literatur. «Debatten anstossen» und so: Kein Wohlfühljournalismus, keine Gefälligkeitsrezensionen! Ernsthafte Kritik! Die Dinge beim ­Namen nennen! Geschmack beweisen, dumme Fragen stellen, sich ganz bewusst zwischen die Stühle setzen. Das muss nicht immer gelingen, zumal wir bei null Abonnenten und kaum mehr «Kontakten» starteten.

Aber in Zeiten politischer Polarisierung schaffte diese Nischenpublikation doch, was selten war und inzwischen noch seltener geworden ist, wonach aber alle immer lauter schreien: Sie brachte die Leute an einen Tisch. Wir sprachen über Literatur, nicht übers Wetter. Mit ihnen allen – selbst mit denen, die dem «Schweizer Monat», mal mit guten, mal mit total bekloppten Gründen, nicht eben wohlgesonnen waren. Das wirkte, so die Rückmeldungen, «frisch» und «authentisch».

Die einzige Leserbefragung, die dieser Verlag je durch­geführt hat, attestierte dem «Literarischen Monat» denn auch eine höhere Kundenzufriedenheit als der seit 1921 erscheinenden Mutterzeitschrift, und vom leicht verfilzten Gewerkschaftsdichter bis zum Verleger mit XXX-Original an der Wand, von der Radio- und TV-Moderatorin bis zum verarmten Slampoeten, der stets besonders stolz sein Jahresabo zahlte, von der begeisterungsfähigen Buchhändlerin über konspirierende Literaturprofessoren bis zum Schriftsteller-Superstar, der in einem Haus in Afrika alle Ausgaben der Zeitschrift «für die Nachwelt konserviert», haben viele Menschen mit ihrem Abo ein Bekenntnis abgegeben, mitunter mitgeschrieben, immer wieder auch ungefragt Geld eingeschossen.

Sicher, selbst wenn du die Grossen an Bord hast, verhallen Debattenanstösse, wenn sie auf den «kulturverpflichteten» ­Supertankern nebenan niemand schreien hört. Die Frage, ob grundsätzliche Debatten an einigen Schlüsselstellen des Betriebs gar nicht gewollt sind, drängte sich zuweilen auf. Der ­Diskurs ist eben immer nur so lebhaft, wie die, die ihn dann ­tatsächlich führen.

2. Entdecken und Fördern

Wir fragten uns dann: Wer hilft eigentlich denen, die ähnliche Erfahrungen machen? Nachwuchsautorinnen und -autoren, die zwar etwas können und einen Traum haben, aber nicht die richtigen Verbindungen zu besagten Betriebstankern? Im zweiten Jahr gründeten wir deshalb das TREIBHAUS, eine Art «Schweizer Bachmannlesen» für blutige Anfänger, um ihnen eine Bühne zu geben. Genau genommen: wechselnde Bühnen, in der ganzen Deutschschweiz (und Liechtenstein!).

Der prominent besetzten Livejury wurden über die Jahre viele, viele wirklich verdammt schlimme Texte vorgesetzt. Aber eben auch immer mal wieder verdammt gute: Einige, die damals im TREIBHAUS als «Talente» die Jury und das Publikum begeisterten, gehören heute zu den Bannerträgern des hiesigen Literaturschaffens: Demian Lienhard, einst TREIBHAUS-Finalist, gewann 2020 einen «Schweizer Literaturpreis», und in dieser Ausgabe können wir das Romandebüt von Peter Zimmermann (TREIBHAUS-Gewinner im November 2016) besprechen. In der Kitschversion dieses Textes wäre der Rezensent hellauf begeistert – aber eben, wir wollen unabhängige Kritik, auch wenn’s zuweilen wehtut.

3. Die ganze literarische Schweiz umpflügen

Die Schweiz ist klein genug, warum also den literarischen Horizont noch weiter einengen? Auf der Suche nach Geschichten jenseits von Dürrenmatt, Keller, Frisch gruben wir in Haute-Nendaz, auf dem Monte Verità, im Archiv der 20 000 Sexbücher in Lausanne oder bei Leo Tuor im abgelegenen Val Sumvitg. Wir installierten Botschafter in der Romandie und im Tessin, publizierten haufenweise Literaturpreisträger aus anderen Landesteilen, von Alexandre Hmine bis Elisa Shua Dusapin. Leserreaktionen? Fehlanzeige. Quentin Mouron – 30 Jahre alt, schon sechs Romane, und jedes Mal Aufruhr von Paris bis Notre-­Dame-de-la-Merci? Die bittere Erkenntnis: Interessiert in der Deutschschweiz niemanden. Man merkt kurz auf bei der Schlagzeile, dass die erfolgreichsten Schweizer Schriftsteller Romands sind – und hält den Leseblick doch diesseits des ­Grabens. Schade drum.

4. Egal

Trotz früher Fehler und wiederkehrender Dämpfer hat das Himmelfahrtskommando «Literarischer Monat» fast zehn ­Jahre durchgehalten, Freude gebracht, Ärger gemacht.

Wer hätte das gedacht? Gedacht haben doch alle, dass die Zeitschrift nach ein paar Monaten, spätestens ein, zwei Jahren, wieder eingestellt würde. Dafür brauchst du keine Fantasie, keinen Enthusiasmus, keine Empathie. Dafür brauchst du nur, was der Herrgott bei dir noch übrighatte: Missgunst, Kleingeist, Krämermentalität. Und davon gibt’s im Kulturbetrieb der Schweiz ja sowieso genug. Vielleicht haben wir den «Literarischen Monat» bis zuletzt deshalb gemacht: Um zu zeigen, dass es geht.

Wir bedanken uns beim SMH Verlag dafür, dass er sich und uns dieses Wagnis erlaubt hat. Beim damaligen «Schweizer Monat»-Chefredaktor René Scheu, der uns «von der Kette» liess, und beim langjährigen Verwaltungsratspräsidenten Thomas Sprecher, der ein kleines, manchmal auch grösseres Defizit für «Kultur» Jahr für Jahr als sinnvoll erachtete.

Wir bedanken uns bei den so freundlichen wie eloquenten Damen von Pro Helvetia und allen anderen treuen und temporären Partnern.

Wir bedanken uns aber vor allem bei denen, die den LM durch ihre Texte, Expertisen, Fotos und Gedanken mit Intelligenz, Witz und Leben gefüllt haben. Hätten sie sich nicht mit uns an den oben genannten Tisch gesetzt, hätte es höchstens vier und nicht über vierzig Ausgaben «Literarischer Monat» ­gegeben.

Nach zusammen 12 Jahren «Literarischer Monat» möchten wir Ihnen unsere wichtigsten Erkenntnisse nicht vorenthalten:

  1. Es wird keinen nächsten Max Frisch geben.
  2. Nein, Bärfuss ist es nicht.
  3. Macht nichts. Wir sind mit einem nächsten Glauser zufrieden.
  4. Wenn Sie ein Geschäft machen wollen, raten wir vom Modell «Literaturzeitschrift» ab. Andere Gründe können durchaus dafür sprechen. Wir bereuen keine Seite.

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