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Mein Leben als Küken

Wie die Schriftstellerin Vea Kaiser für ein paar Monate der Shootingstar der deutschsprachigen Literatur war – und was ihre Enkel einmal dazu meinen werden.

Mein Leben als Küken
Vea Kaiser, photographiert von Michael Wiederstein.

Die Natur und ich, wir haben ein Problem mit­einander: ich möchte keine Kinder, aber unbedingt Enkelkinder. Schon im Kindergarten wollte ich beim Spiel Mutter-Vater-Kind immer die Oma spielen, und die Kekse, die ich in meiner Puppenküche buk, waren nicht für die Puppenkinder, sondern für die Puppenenkelkinder. Dieser Wunsch, später mal Oma zu sein, geht sogar so weit, dass ich ein ­Archiv für meine Enkelkinder angelegt habe, Pappboxen einer schwedischen Möbelfirma, in denen ­alles aufgehoben wird, was ich ihnen später einmal zeigen will. Ich befürchte ja, die Enkelkinder werden mich für eine übervorsichtige, ängstliche, Kuchen-back-süchtige Oma halten, deren Lebensinhalt ­darin besteht, die Enkerl zu mästen, doch irgendwann ­werde ich die Kisten hervorholen, die ich zwischen September 2011 und Februar 2013 füllte, und ihnen beweisen: Die Oma war für ein paar Monate der Shootingstar der deutschsprachigen Literatur.

Ich werde ihnen Kekse mit extra viel Schokolade vorsetzen und erklären, dass mir die amerikanische Filmindustrie schon früh zwei Flausen in den Kopf setzte: dass Walt Disney schuld an meinem romantischen, illusorischen Bild von Liebe ist und dass mir TV-Serien über Schriftsteller vermittelt haben, dass man als junger Mensch durchaus den Wunsch hegen wie öffentlich kommunizieren darf, Autor zu werden. Meine Enkelkinder werden fragend schauen, und ich werde ihnen berichten, wie zu meiner Zeit ein grosser Unterschied bezüglich der Auffassung des Schriftstellerberufs im angloamerikanischen und dem deutschsprachigen Raum bestand. Ich ­werde ihnen von Gossip Girl erzählen (was für Zeug die Oma früher schaute!) und wie eine der Haupt­figuren, Dan, ein junger High-School-Student, selbstbewusst erzählte, dass er Schriftsteller werden wolle, woraufhin ihm alle die Schultern tätschelten und seine Zukunftspläneawesome fanden. Dan ­wurde ermutigt, lernte in Creative-Writing-Kursen arrivierte Schriftsteller kennen, die neugierig auf seine Arbeit waren und ihm unter die Arme griffen.

Als ich hingegen erstmals gestand, Schrift­stellerin werden zu wollen – und bereits begonnen hätte, an einem Roman zu schreiben –, reagierte mein Umfeld mit bedauerndem Lächeln und einem Gesicht, das man Kindern gegenüber aufsetzt, die mit vierzehn noch glauben, der Storch brächte die Babys. Allein das Wort «Schriftsteller» sprachen die lieben Menschen aus wie etwas leicht Verruchtes, eventuell Unanständiges, auf jeden Fall seltsam ­Sakrosanktes und nicht für jeden Zugängliches. Ich werde den Enkerln Vanillefrappé servieren und ­erzählen, dass meine Familie befürchtete, ich würde verrückt werden, dass sich Professoren an der ­Universität über das Schreiben lustig machten und mich sogar enge Freunde irgendwie bedauerten. Die Enkerl werden mit schokoladenverschmierten Gesichtern fragen, wieso ich das trotzdem gemacht habe, und ich werde antworten: weil ich nicht anders konnte – und weil nach vielen Kurzgeschichten, die ich veröffentlichte, und Wettbewerben, an ­denen ich teilnahm, und noch viel mehr Absagen für beides irgendwann Menschen auftauchten, die an mich glaubten.

Die Enkerl werden wahrscheinlich fragen, wie man denn zu meiner Zeit in den Literaturzirkus kam, indem man einen Roman schrieb und diesen dann an Verlage schickte? Vor Lachen wird mir wahrscheinlich das künstliche Gebiss aus dem Mund fallen, dann aber werde ich ernst schauen und sagen: Nein, nein, so alt ist die Oma auch nicht! Zu der Zeit, als die Oma Schriftstellerin wurde, wurden unverlangt eingeschickte Manuskripte kaum noch geprüft, und wenn, dann von Verlagspraktikanten. Nein, nein, werde ich wiederholen und meinen Enkeln erzählen, dass, als ich jung war, der Einstieg in die Welt der Literatur über das Erklimmen einer Leiter geschah: viele kleine Stufen, eine nach der anderen. Ich werde ihnen von Literaturwettbewerben, Schreibwerkstätten, Literaturzeitschriften, Poetry-Slam-Bühnen und anderen Möglichkeiten erzählen, wo junge Menschen die Möglichkeit hatten, mit ­ihren Texten eine «interessierte Öffentlichkeit» zu finden. Dass sich Nachwuchsautoren durch kleine Publikationen einen Namen erschrieben und so Kontakte knüpften zu Agenten, zu arrivierten Schriftstellern, zu Verlagen. «Und wie war das bei dir, Omi?», werden die Enkerl fragen, während sie eine meiner vierzehn Katzen streicheln werden. Ganz klassisch, werde ich sagen und erzählen, wie ich viele hunderte Kurztexte durch die Gegend sandte, ständig Einsendeschlüsse in meinem Kalender notierte, nur um unzählige Absagen zu kassieren, bis ich 2009 zu einem Wettbewerb namens Open-Mike nach Berlin eingeladen wurde. Diesen Open-Mike werde ich ihnen als Kuhmarkt für Autoren ­erklären, wo in der ersten Reihe die Verleger, in der zweiten die Lektoren, in der dritten die Agenten ­sassen und nach jungen Talenten suchten. «Hast du gewonnen?», höre ich die Enkerl schon heute fragen. Nein, überhaupt nicht, werde ich sagen und ­berichten, dass die Jury meine Kurzgeschichte sehr schlecht fand – und das völlig zu Recht. Weil sie auch schlecht war. Ich werde ihnen erzählen, dass ich Kurzgeschichten hasste, weil jede meiner Kurzgeschichten ein Roman auf dreizehn Seiten war, und dass zu meinem Glück bei jenem Wettbewerb Menschen im Publikum sassen, die immerhin viel von meiner Art zu erzählen hielten und mich schliesslich fragten, ob ich nicht doch einmal etwas Längeres hätte? Ich werde meinen Enkeln nicht ­verschweigen, dass ich dort auch von vielen Lektoren und Agenten angesprochen wurde, unter anderem vom Onkel Felix. «Vom Onkel Felix?», werden die Enkerl lachend fragen, «dem lustigen Onkel mit den bunten Socken, der für die Oma die geschäftlichen Angelegenheiten regelt?» Ja, werde ich sagen, dass der Onkel Felix damals ein junger Agent aus Zürich war, der an die Oma glaubte und schliesslich ihre Vertretung übernahm. Ich werde den Enkerln erzählen, wie der Onkel Felix der erste war, der mich in meinem Wunsch zu schreiben ernst nahm und unterstützte. Dass er einmal in der Woche anrief – mich bestärkte, nicht alles hinzuschmeissen, wenn es schwierig wurde, und bremste, wenn ich aufgekratzt dachte, bald fertig zu sein.

Ob es schwer war, so viele Seiten zu schreiben, werden die Enkerl sicher fragen, während ich Gin aus einer Teetasse schlürfen werde. Leicht beschwipst werde ich ihnen erzählen, dass ich glücklich und froh war, endlich keine Kurzgeschichten mehr schreiben zu müssen, nicht immer an das Ende denken zu müssen, bevor es richtig spannend wurde. «Aber du warst ja noch sehr jung, 20 Jahre, als du zu schreiben begannst?», werden die Enkerl – von mir haben sie die mathematische Begabung nicht – ausrechnen. Und ich werde ihnen erzählen, dass ich im nachhinein glaube, dass das ein Vorteil war. Ich werde ihnen von Autoren erzählen, die ich in Schreibwerkstätten kennenlernte, die alle ­etwas älter waren, und dass ich merkte, wie praktisch es war, keine Familie, ­keine Haustiere, keine ­Topfpflanzen zu haben, sondern einfache Studentin ohne grossen Druck und mit absoluter Narren­freiheit zu sein.

«Und war es einfach, den fertigen Roman beim Verlag unterzubringen?», werden die Enkerl fragen, nachdem ich ihnen die Nasen geputzt habe, und ich werde auf meinen Glücksstern verweisen. Ich werde meine Enkerl daran erinnern, dass nicht jeder Mensch zu jedem Text einen Zugang findet, dass es keine objektiven Kriterien gibt, die einen Text in ­jeder Hinsicht zu einem guten Text machen, und man stets Glück braucht, wenn der Text beim richtigen Leser landen soll. Und dass ich dieses Glück hatte, als mein Roman bei der Tante Sandra landete. «Die Tante Sandra!», werden die Enkel schreien (sie wird ihre Lieblingstante sein, weil sie immer die tollsten Bücher mitbringt) und ich werde ihnen erzählen, dass die Tante Sandra damals eine junge Lektorin bei Kiepenheuer&Witsch war, meinen Roman über Nacht las und achtzehn Stunden, nachdem ich ihn fertiggestellt hatte, schon zusagte, ihn beim Verlag veröffentlichen zu wollen. «Geht das immer so schnell?», werden die Enkerl fragen. Nein, werde ich sagen und von den Anfängen unserer Zusammen­arbeit erzählen, wie wir tagelang durch Wiens ­Kaffeehäuser zogen und über jeden Satz diskutierten, bis ich am Ende sagen konnte, jedes Komma stünde am richtigen Platz. Ich werde den Enkerln erklären, welche Angst ich vor der Veröffentlichung hatte und dass diese Angst erst durch das Lektorat verschwand, wo man gezwungen ist, so lange am Text zu arbeiten, bis man hinter jedem Satz stehen kann.

«Und wie war es, das Buch in Händen zu halten?», werden die Enkel fragen, während sie der gut­mütigsten meiner vierzehn Katzen Puppenkleider anziehen. Ich werde antworten: das tollste Gefühl der Welt! Ich werde ihnen erzählen, wie laut ich gekreischt habe. Ich werde schwärmen, dass am Anfang alles eine einzige Achterbahn der Gefühle, eine einzige, aufregende Reise durch Neues, Tolles, Atemberaubendes gewesen sei. Ich werde ihnen flüstern, wie ich vor, während und nach jedem ­Interview Herzrasen hatte, wie ich abends vor Aufregung gar nicht schlafen konnte, mich nicht in Buchhandlungen traute, aus Respekt davor, dort das eigene Werk zu sehen, wie ich ständig bei amazon den Verkaufsrang verfolgte, vor Glück über jede ­positive Rezension in den Himmel sprang und vor Trauer über jedes negative Wort in Heulkrämpfe ausbrach. Und dass das alles nach drei Wochen wieder vorbei war. Nein, ich gab natürlich noch Monate lang Interviews, aber immerhin: meine Aufregung legte sich. Ich werde meinen Enkerln erzählen, wie ich lernte, dass all die Berichte über das eigene Werk oder die eigene Person nichts anderes sind als das Spiegelkabinett eines Rummelplatzes. Klar, das ist man selbst in all den Spiegeln, doch stets verzerrt und nie so, wie man wirklich ist. Nie.

Und ja, wenn wir dann so miteinander am ­Küchentisch sitzen, ich von früher erzähle und ihnen Süssigkeiten serviere, die ihre Eltern ihnen verbieten, werde ich ihnen meine Entdeckung weitergeben: dass Schriftstellersein tatsächlich ein Beruf wie ­jeder andere ist. Man ist als selbständiger Freiberufler bei der Krankenversicherung gemeldet, zahlt Steuern und hat einen Beruf, der aus zwei sehr konträren Teilen besteht: dem ruhigen, zurückgezogenen, ­irgendwie magischen, jahrelangen Schreiben und dem lauten, rummeligen, wilden Veröffentlichen samt der Aufmerksamkeit, die man plötzlich bekommt.

Wenn die Enkerl weinen, weil eine der vierzehn Katzen die Geduld verloren und die Krallen ausgefahren haben wird, werde ich meinen Schätzchen Pflaster aufkleben und erzählen, wie ich merkte, dass ich zu einer neuen Generation Schriftstellern gehörte, die in den Nullerjahren aus dem Boden wuchs: einer Generation, für die selbstverständlich war, dass man nicht nur richtig gut schreiben, ­sondern auch präsentieren können muss. Einfach nur ein feines Buch zu verfassen, nein, das reichte nicht mehr. Als junger Autor musste man zu
einer öffentlichen Figur werden, eine bestimmte ­Inszenierung verkörpern, die den Text in der medialen Welt unterstützt. Ich werde ihnen erzählen, wie einst in den grauen Vorzeiten das Autorenfoto das einzige war, was man vom Autor kannte, wie es aber zu meiner Zeit unerlässlich war, auf YouTube, Facebook, bei Literaturfestivals etc. nicht nur präsent zu sein, sondern gute Performances abzuliefern.

Um meine Enkelkinder zu beeindrucken, werde ich ihnen, wenn ich sie zu Bett bringe, von meiner Lesereise erzählen und meinen Bericht mit vielen wilden Ausschmückungen versehen, damit es sich anhört, als wäre ich wie ein Rockstar auf Tour gewesen. 75 Lesungen umfasste die erste Tour, von September 2012 bis Februar 2013, von Schleswig-Holstein bis Graz, von Zürich bis Berlin, von Köln bis Wien. Ich werde von abenteuerlichen Odysseen berichten und meine Enkerl dabei schamlos anlügen, denn eigentlich war die Reise sehr ruhig, viele Flugzeuge, abertausende Bahnkilometer, kleine Städte, grosse Dörfer, aber überall interessiertes, wunderbares Publikum mit vielen Fragen, zig Büchern zum Signieren und Abendessen beim Griechen in der Fussgängerzone. Ich werde sie mit flauschigen, nach Weichspüler riechenden Federbetten zudecken und ihnen auf jeden Fall erzählen, dass ich es als grosses Privileg empfand, endlich in direkten Kontakt mit meinen Lesern treten zu dürfen, endlich zu entdecken, wer die Menschen sind, für die ich schreibe, und dass sich diese als gänzlich anders herausstellten als jene Menschen, für die ich zu schreiben dachte.

Und bis sie eingeschlafen sind, werde ich ihnen die schönsten Anekdoten erzählen; wie mir der ­Bürgermeister von Büdingen die deutsche Staatsbürgerschaft anbot, wie meine Hand zitterte, als ich das erste Autogramm geben durfte, wie ich mitten in der Lesung, mitten im Satz die Hausspinne der Schauenburger Märchenwache erschlug, wie ich mit der ARD auf einen Berg fuhr und Höhenangst bekam, wie ich lernte, dass manche Menschen grundlos boshaft sein können und andere wiederum so endlos herzlich. Dass wir jede Nacht der Frankfurter ­Buchmesse durchtanzten, viel zu viele Gin Tonics tranken, oder mit welchen Autorenkollegen ich ­Romanzen erlebte, ja, das werde ich den Enkerln ­sicher zunächst verheimlichen, aber ansonsten wird es genug zu erzählen geben über mein Leben als ­Küken.

Schreiben ist (d)eine Kunst. Und niemand weiss davon? Muss nicht sein.

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