Martin Suter:
«Die Zeit, die Zeit»
Peter Taler befindet sich auf einer obskuren Mission. Er will den Mörder seiner Frau finden. In seinem Leben existieren nur noch dieser sich selbst übertragene Auftrag und die öde Arbeit als Buchhalter, die er halt macht, weil er muss. Er ist besessen von der Idee, eines Tages vor dem Verbrecher zu stehen und ihn eigenhändig zu erschiessen. Seine Wohnung ist seit der Tat, die ein Jahr her ist, unverändert. Immer noch tischt er zum Abendessen für zwei Personen auf und kocht jenes Gericht, das er und seine Frau Laura meist zusammen gegessen haben. Lauras Jacken und Handtaschen hängen immer noch an der Garderobe und ihr Atelier ist so, wie sie es das letzte Mal verlassen hatte. Seine Trauer über den Verlust ist nach wie vor so stark, dass ihn der Gedanke an ein Leben ganz ohne sie schier umbringt. Lethargisch lebt er in seiner eigenen Welt, in der es nur die Suche nach dem Mörder und die Abendstunden mit der fiktiven Präsenz seiner Frau gibt. Und dann, plötzlich, in einer der vielen Observationsnächte, die dem Mörder gelten, fällt ihm auf, dass sich sein misanthropisch scheinender Nachbar Albert Knupp ausserordentlich komisch verhält. Bevor er sich’s versieht, ist er Teil eines ungewöhnlichen Plans – der Alte will einen Tag in der Vergangenheit, und zwar den 11. Oktober 1991, exakt genau gleich wiederherstellen, um ein Tor zur Vergangenheit und somit zu seiner verstorbenen Frau zu schaffen – und Assistent des Zweiflers Knupp, der die Zeit kategorisch ablehnt und sie mit allen Mitteln aus ihrer Verankerung hebeln will.
Martin Suters neuer Roman Die Zeit, die Zeit ist ein spannender Krimi und zugleich die Geschichte über den Versuch, das determinierte Schicksal zu überwinden. Die Protagonisten des Buches wollen ihre verstorbenen Ehefrauen wieder auferstehen lassen und scheinen die Lösung darin gefunden zu haben, den Lauf der Zeit rückgängig zu machen. Was einfach klingt, kann selbst Suters Roman, der den Spagat zwischen Unterhaltung und Literatur mühelos schafft, nur auf komplexe und abstrakte Weise greifbar machen. Ein Fakt, der mitunter für Längen sorgt und dem Leser eine gehörige Portion Stamina abverlangt. Denn wer sich nicht gleichzeitig wissenschaftlich mit der physikalischen Grösse «Zeit» auseinandersetzt, ist hie und da verloren, was den sonst so regelmässigen und glatten Rhythmus des Plots immer wieder in einem triezenden Staccato unterbricht.
Suters Stil ist stringent und verlangt vom Leser trotz dieser Brüche keinen akademischen Abschluss. Man wird durch die Lektüre getragen, kommt leichtfüssig voran, die Spannung baut sich langsam – zeitweise etwas zäh –, aber sicher auf und gipfelt in einem Finale, das besonders lange nachklingt, sofern man des abstrakten Denkens fähig ist. Es wirkt ausserdem durch seine Wucht, was, wenn man nicht zu lange nachdenkt, ja auch ganz befriedigend sein kann. Beachtlich auch, dass das ganze Unterfangen nicht ins Absurde kippt, auch wenn das bei der schrägen Geschichte um die «Zeitzweifler» durchaus hätte geschehen können. Andere auflagenträchtige Wissenschaftsromane und ihre Autoren sind daran nur allzuoft gescheitert. Suter erweist sich also einmal mehr als grosser Erzähler, der die richtigen Reize setzt, die richtigen Töne trifft – und mit keiner Seite Zeitverschwendung ist.
Martin Suter: Die Zeit, die Zeit. Zürich: Diogenes, 2012.