Blaise Cendrars:
«Ich tötete – ich blutete»
Den Vorwurf der Kriegsverherrlichung musste sich Cendrars bei Erscheinen von «J’ai tué» gefallen lassen. Und tatsächlich, im Herzstück des Bandes ist der Krieg nicht weit vom Vater aller Dinge entfernt. «Ich tötete» beginnt wie eine Berichterstattung im Live-Ticker-Takt: Die Sätze sind kurz, die Fakten eindringlich. Der Soldat Cendrars, einer von vielen, beschreibt mehr oder weniger unbeteiligt, was das Heer gerade tut, wohin es sich bewegt, sich selbst lässt er im Trupp völlig aufgehen. «Man» geht, «man» hört, «man» wartet. «Es regnet.» Dann stürmt ein «Wir» los, und plötzlich fällt es das erste Mal, das «Ich», für sich ein Messer erbittend. Was folgt, ist der jähe Zoom weg von der Mikroszenerie in eine Makroperspektive, die ganze Welt betrachtend, nur um gleich wieder an die Front hinunterzuschnellen und sich selbst, als Kulminationspunkt des Weltgeschehens, ins absolute Zentrum zu stellen:
«Darin also gipfelt diese immense Kriegsmaschine. Frauen verrecken in Fabriken. Eine Horde von Arbeitern rackert in den Minen. Wissenschafter, Erfinder zermartern sich das Hirn. Das ganze wunderbare Wirken der Menschen leistet Tribut. Die Fülle eines ganzen Jahrhunderts Arbeit. Die Erfahrung mehrerer Zivilisationen. Auf der ganzen Welt müht man sich nur für mich.»
Die drei Texte und besonders das poetisierte «Ich tötete» sind ausnehmend bedacht übersetzt, die zahlreichen Anmerkungen geben nur eine Ahnung der geleisteten Arbeit. Das Triptychon ergänzt die Lektüre des grossen Kriegsromans «La main coupée» (1946 erschienen), vermittelt aber auch ohne diesen genügend Eindrücke vom Treiben des Ersten Weltkriegs – und von Cendrars’ lebenslanger Auseinandersetzung mit ihm. Dass der Herausgeber beinahe sein komplettes Vor- wie Nachwort auf das 1926 erschienene Werk «Moravagine» ausrichtet, mag dem Cendrars-Experten die Verflechtungen mit dem – ebenfalls gerade von Zweifel neu edierten – düsteren Roman erschliessen. Dem Erstleser hingegen werden hier Fährten gelegt, denen er kaum zu folgen vermag. Zu sehr bereitet ihn der Herausgeber auf seine eigene psychologische Lesart des Autors vor: Es ist viel von Mordlust die Sprache, von Cendrars’ innerem Kampf und liederlicher Lebensführung. Und ja, in den vorliegenden Texten tauchen der Messermord, die in einem Zug geleerte Flasche Schnaps und die Liebelei in Paris auf, aber daraus erschliessen sich noch nicht Cendrars’ Monstrositäten, die Zweifel derart herausstreicht. Die zeitlichen Zusammenhänge der Ereignisse und die Genese der Texte lassen sich zwar aus dem Anhang eruieren, für eine etwas vermittelnde und nüchternere Einführung wäre diese Erstleserin aber dankbar gewesen.
Blaise Cendrars: Ich tötete – ich blutete. Basel: Lenos, 2014.