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«Ich habe nicht den Eindruck, dass die Schweizer stolz sind auf ihre Literatur»

Fragen an Peter Stamm.

 

Peter Stamm, der «Literarische Monat» hat nun mindestens fünf Jahre mit Ihrem Konterfei Werbung gemacht. War es Ihnen eine Ehre?

Ich bin generell nicht besonders scharf darauf, mein Gesicht in der Öffentlichkeit zu sehen, aber wenn es einer guten Sache dient, mache ich auch mal eine Ausnahme. Ehre finde ich in diesem Zusammenhang ein seltsames Wort.

Ihr Zitat auf unseren Materialien lautet: «Das Magazin, das in der Schweiz gefehlt hat». Was fehlte denn eigentlich genau?

Mir fehlt manchmal ein Magazin, in dem auf intelligente Art über Bücher debattiert wird. Das also nicht nur Kritiken ver­öffentlicht und sagt: Kauft dieses oder jenes Buch. Etwas wie die «New York Review of Books» oder die «London Review of Books». Aber vielleicht ist die Schweiz einfach zu klein, um ein genügend grosses Publikum für so ein Magazin zu finden. Nicht einmal in Deutschland kenne ich etwas Entsprechendes, seit «Literaturen» eingestellt wurde.

Fehlt der zeitgenössischen Schweizer Literatur – oder aber dem Betrieb, in dem sie gedeiht oder nicht – sonst noch etwas?

Ich glaube nicht wirklich an Nationalliteraturen. Ich fühle mich manchen Russen oder Italienern oder Amerikanern literarisch näher als vielen Schweizern. Was mir in der Schweiz aber manchmal fehlt, ist der Respekt vor der Literatur. Bundesräte zeigen sich bei Skirennen oder Fussballspielen, aber bei einer Lesung habe ich nur einmal einen gesehen, und das war, als sein Buch besprochen wurde. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Schweizer stolz sind auf ihre Literatur. Oder das jemals waren.

Welche Rolle haben Literaturzeitschriften für Ihren eigenen Werdegang gespielt?

Als Autor nur eine kleine. Ich habe nie wirklich Texte an Literaturzeitschriften geschickt, vielleicht war ich zu unsicher, ich weiss es nicht mehr. Aber als ich Redaktionsmitglied der «Entwürfe für Literatur» wurde, war das mein erster Schritt in die ­literarische Welt. Ich habe Autorinnen und Autoren kennen­gelernt, hatte mit Verlagen zu tun, musste fremde Texte be­urteilen. Das hat mir, glaube ich, schon geholfen. Ausserdem hat es Spass gemacht.

Woran arbeiten Sie gerade?

An einem Roman, der mir aber ziemliches Kopfzerbrechen bereitet. Andererseits gehört das dazu. Bei meinem letzten Roman schrieb der «Spiegel», ich sei in einer Schaffenskrise. Da dachte ich, aber ein anständiger Autor ist doch immer in einer Schaffenskrise. Routine ist das Schlimmste beim Schreiben, Krisen sind der Normalfall.

Lesen Sie Kritiken Ihrer Bücher? Bringt es Ihnen etwas für Ihr Schreiben, dass sich andere öffentlich damit auseinandersetzen?

Ich lese nur noch die wichtigsten Kritiken. Wenn ich zehn oder fünfzehn zu einem Buch gelesen habe, fangen sie an, mich zu langweilen. Leider muss man sagen, dass viele Kritiker nicht wirklich ein Verständnis für Literatur haben. Der «Spiegel»-Mann zum Beispiel meinte, dass ich in einer Krise sei, weil in meinem Buch nicht viel geschähe. Würde er mehr von mir kennen, wüsste er, dass genau das mein Ziel ist, die dauernde Reduktion von Handlung, bis hin zu einem Buch ohne Protagonisten, von dem ich schon lange träume. Das sage ich in jedem zweiten Interview. Es gibt so viele schreckliche Bücher, die von der Kritik hochgejubelt werden und von denen alle Autorinnen und Autoren wissen, dass sie nichts taugen. Weil sie die Autoren durchschauen.

Wie oft beschleicht Sie das Gefühl, eine Rezensentin oder ein Rezensent habe Ihr Buch «nicht verstanden» – oder am Ende gar nicht gelesen?

Ich glaube, überflogen haben die Rezensenten die Bücher meistens, auch wenn es ihnen oft schwerfällt, sich die Namen der Protagonisten zu merken oder die Handlung einigermassen richtig zusammenzufassen. Aber sie halten sich zu selten an die erste Regel der Kritik, dass man sich fragen sollte: Was hat der Autor, die Autorin gewollt und ist es ihm oder ihr gelungen? Stattdessen sind die meisten Kritiken nach dem Schema geschrieben: Mir hat’s gefallen oder mir hat’s nicht gefallen.

Was sind Sie für ein Leser? Lesen Sie eher zum Stoffsammmeln fürs Schreiben oder gerade, um sich vom Schreiben wegtragen zu lassen?

Ich lese nicht mehr so viel wie früher und immer noch sehr langsam. Eigentlich suche ich in Büchern immer Inspiration, meistens aber nicht Stoff. Wenn ich ein gutes Buch lese, kriege ich Lust, selbst zu schreiben. Inhalte sind da kaum von Bedeutung. Auch nicht, ob ein Buch aktuell ist. In letzter Zeit habe ich relativ viele Bücher aus den fünfziger Jahren gelesen, nicht absichtlich, es hat sich so ergeben.

Ihr aktueller Lesetip? 

Gerade lese ich die «Wanderungen mit Robert Walser» von Carl Seelig. Ich wollte das Buch schon seit vielen Jahren lesen, aber habe es aus unerfindlichen Gründen nie getan. Es ist ein wunderbares Buch. Nur schon, was die beiden dauernd essen und trinken und wohin sie wandern und wie das Wetter ist. Als Ostschweizer kenne ich die meisten Orte. Und es wird absolut klar, dass Robert Walser alles andere als verrückt war, obwohl er in der Psychiatrie lebte. Und vorher habe ich das schöne Buch «Summer» von Monica Sabolo gelesen, eine sehr atmosphärische Geschichte von einer Frau, die spurlos verschwindet.

Von «der Literatur» wird immer mal wieder gefordert, sie solle sich «mehr einmischen». Sie machen ja Politik, sogar Partei­politik – aber nie in Büchern oder Feuilleton-Auf­machern. Gerade als ehemaliger Journalist: Nie den Impuls gehabt, es doch zu tun?

Ich glaube, Engagement wird heute oft falsch verstanden. Offene Briefe unterschreiben, an Demonstrationen teilnehmen, Artikel fürs Feuilleton schreiben, das ist alles gut und recht, aber es hat absolut nichts mit engagierter Literatur zu tun. Kürzlich twitterte eine junge wilde Autorin: «menschen wandern durch ganze balkan weil ihr haus kaputt gebombt wurde peter stamm spaziert jeden tag durch winterthur um langweilige bestseller mit romantisiert misogynem frauenbild zu schreiben.» Ich glaube nicht, dass diese junge Frau sich in irgendeiner Weise für Flüchtlinge einsetzt. Aber heute genügt es oft schon, sich zu empören, um den Eindruck zu erwecken, man sei engagiert. Dabei ist engagierte Literatur vor allem ehrliche Literatur, die die Welt so zeigt, wie sie ist. Dieses Betroffenheitsgeschwafel ist vor allem verlogen und wohlfeil. Dagegen kämpfe ich mit meinen Büchern. Aber das Pathos grosser Worte ist natürlich leichter verdaulich, das weiss diese junge Frau genauso gut wie Donald Trump und Konsorten. Politisch sein hat mindestens so viel mit dem Stil zu tun wie mit den Inhalten.

Nochmals zurück zum Anfang: Leider verabschieden wir uns nun nach einem knappen Jahrzehnt. Hat der «Literarische Monat» vielleicht doch nicht gefehlt, wenn nicht einmal 1000 Menschen bereit sind, 50 Franken pro Jahr für ihn auszugeben?

Schon Robert Walser klagt gegenüber Carl Seelig über seinen Misserfolg und meint, er sei einfach nicht zeitgemäss gewesen. Aber im Gegensatz zu den erfolgreichen Autoren, die im Buch erwähnt werden, ist er nicht vergessen und gilt heute als einer der wichtigsten Schweizer Autoren. Wer weiss, wie der «Literarische Monat» in fünfzig Jahren erinnert wird.

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