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Karl-Gustav Ruch «Das letzte Fenster»

Karl-Gustav Ruch
«Das letzte Fenster»

 

Karl-Gustav Ruch – 2009 mit seinen wunder­vollen Erzählungen für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert – hat einen Roman über einen gescheiterten Schriftsteller geschrieben, den die Rekonstruktion einer vermeintlich grossen Liebes­geschichte zu einer Reflexion seines Lebens führt.

Zwischen der anfänglichen Frage, wie alles werden konnte, wie es geworden ist, und der Aufklärung dieses grossen Geheimnisses steht eine gescheiterte Liebesgeschichte, die Elemente enthält, die den hockebooks-Verlag (der auf seiner Internetseite allen Ernstes eine Kategorie «Frauenunterhaltung» bereitstellt) offensichtlich überzeugen konnten: ein verschwundenes Manuskript (geheimnisvoll), Verweise auf die europäische Literatur- und Philosophiegeschichte mit besonderem Fokus auf Walter Benjamin (gelehrt), zwei schwarze Koffer (spannend), eine komplizierte Fami­liengeschichte (kompliziert) und ein paar Puppen (phantastisch); das Ganze erzählt in einer Farbenwelt wie aus einer RAL-Tabelle abgeschrieben («flaschengrün», «indigoblau», «karminrot»). Dazwischen finden sich viele Klischees  über männliche Libido und weibliche Treue («was wir Seele nennen, ein imaginäres Geschwür aus überspannten Gummiseilen und geschwollenen Hoden»), einige z.T. an Gedanken etablierter Philosophen angelehnte Sinnsprüche («Schönheit ist mehr als die Summe ihrer Teile»), unzählige langweilige und rhetorisch schmerzhafte Blicke des Mannes auf die Frau, «den weissen Ansatz ihrer Brüste» und ihren «Pflaumenmund, der von der Form her nichts mit einer Pflaume zu tun hat und trotzdem eine Pflaume ist», aber doch auch einige feinsinnige Beobachtungen menschlicher Beziehungen: «Hahaha lachen beide, als hätten sie das gemeinsame Lachen schon geübt», gehört zu den klügsten Sätzen des Romans.

Es bliebe zu hoffen, dass es sich um das Psychogramm eines einzelnen Einsamen handelt, träten einem nicht immer wieder Männer aus Büchern entgegen, deren Haltung zur Welt oft durch die Diagnose einer Midlifecrisis zeitlich überschaubar gemacht und damit verharmlost wird. Dabei findet die Auseinandersetzung mit verpassten Gelegenheiten (ein eigentlich ehrenwert philosophisches Thema) auch bei Protagonisten in fortgeschrittenem Alter kein Ende. Selbstmitleidige, selbstgefällige und narzisstische Persönlichkeiten, die vor allem damit befasst sind, meist Jahrzehnte jüngere und natürlich ausnahmslos schöne Frauen mit Strategien zu umwerben, die peinlich sind, und ihnen Bedürfnisse zu unterstellen, deren Realitätsbezug mehr als fragwürdig ist. Ob Martin Walser, Hans-Josef Ortheil oder Peter Schneider – überall männliche Protagonisten, die auf mehr oder weniger geheimnisvollen Wegen Frauen treffen, die nur dazu erfunden zu sein scheinen, sie zu verstehen: ihre Ängste, ihre Schwächen, ihre Sehnsucht. Das ist verständlich, aber banal. Ruch hat seiner weiblichen Hauptfigur zumindest ein selbstbestimmtes Leben gelassen – schade, dass sie in ihren letzten Stunden doch wieder mit den Sorgen des Mannes befasst ist.

«Literatur muss sagen, was man nicht sagen kann», schreibt Ruchs Protagonist in sein Tagebuch. Warum man aber lesen sollte, wo­rüber mancher besser geschwiegen hätte, bleibt offen.

Karl-Gustav Ruch: Das letzte Fenster. München: hockebooks, 2018.

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