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Musen auf Clashkurs

Schreiben als dreifacher Vater.

 

Dies ist ein Erlebnisbericht, ein Stück unverfälschte Prosa aus dem Leben. Sein Thema ist ein wichtiger Begleitumstand meines Schreibens, der in meinen Texten bisher unerwähnt geblieben ist: Ich schreibe als dreifacher Vater. Also mit stark eingeschränkter Freiheit und ebenso stark erhöhtem Finanzierungsdruck. Das ist zwar kein grundlegender Unterschied zu meinem Leben vor den Kindern, aber doch eine deutliche Verschärfung.

Es war ja auch nicht geplant! Und dann, als ich meinem Di­plomarbeitsbetreuer am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, dem Dramatiker Roland Schimmelpfennig, «beichten» musste, dass sich die Abgabe dieser Diplomarbeit – es handelte sich um ein Theaterstück – um mehrere Monate nach hinten verschieben würde, reagierte er mit diesem Satz: «Glückwunsch, Sie werden mehr schreiben als vorher.» Ich schaute ungläubig. Natürlich freute ich mich wie ein Maikäfer auf meinen Sohn – aber für meine Schriftstellerei befürchtete ich das Schlimmste. Meine Vorstellung: permanenter Zeitmangel, andauernder Hochdruck in den verbleibenden «Slots», kaum Rückzugsmöglichkeiten; Kinder wollen nun einmal versorgt und betreut sein, sie sind immer da – und dazu noch recht laut.

Genauso gestaltet es sich heute – aber seht her, ich schreibe noch! Mein Verständnisfehler damals: dass ich dachte, es könne fortan nur einen Clash geben zwischen meinen Kindern und den Musen. Nicht aber, die Musen könnten auch pragmatismusfähig sein.

Sie sind es: Ich schrieb irgendwann effektiver, effizienter, peilte den brauchbaren Stoff direkter an, verwarf radikaler den vermeintlichen Stoff, den ich früher zuerst in epische Längen gebracht und dann erst aufgegeben hatte. Es gelang mir, mich zu entscheiden – weil ich mich entscheiden musste, um vorwärtszukommen. Ich kann mir keine Tage mehr leisten, an denen keine Ideen mehr «kommen», also kommen sie, die Auftragsbücher sind voll. Ich habe auch gar nicht das Gefühl, es gehe irgendwas verloren, etwa weil ich nicht mehr «um jedes einzelne Wort ringen» könne. Doch, kann ich immer noch, muss ich sogar. Aber das geht eben auch schneller.

Ich frage mich oft, ob es so kommen musste, dass Schreiben und Vaterschaft Hand in Hand gehen. Weil Kinder in ihren Eltern «eine zusätzliche Energie freisetzen», ihnen «Flügel wachsen lassen». Nein, natürlich nicht, das alles hätte auch scheitern können.

Zum Beispiel: Nach der Geburt meines ersten Kindes drehte ich voll auf, erhöhte die Schreibstunden und die Lektüremengen, was mir bald mächtig um die Ohren flog. Und zwar gleich doppelt: Das Kind wurde von einem unausgeglichenen Vater betreut, und meine Texte zeigten ebenfalls Spuren dieser Unausgeglichenheit, waren mit zu hektischer Feder gestrickt. Bei meinem zweiten Kind drosselte ich deshalb herunter, auch falsch, denn nun war die Präsenz des Nachwuchses ja endgültig zur Omnipräsenz angewachsen. Die Musen klopften zwar im Hintergrund verlässlich an, ich aber machte eine Weile ganz zu, gab den Kindern bewusst mehr Raum, was zwar gut für die Kleinen war, aber nicht für den Schriftsteller Jan Decker, der das Schreiben einige Monate lang ganz einstellte…

Wieder Schriftsteller sein konnte ich nur unter geänderten Vorzeichen, und diese liefen auf einen Begriff hinaus: Struktur. Ich schreibe heute zu festgelegten Stunden, die anderen Stunden nicht. Ich schreibe nicht, wenn meine Kinder in der Wohnung sind, aber immer, sobald sie in ihren Kitas sind. Wobei hier gilt: Die Kinder haben Vorrang vor den Musen; wenn sie her­einstürmen, wird der Stift hingelegt, wenn sie krank sind, wird er erst gar nicht in die Hand genommen. Deadlines? Bleiben eine Herausforderung.

Unser drittes Kind unterzog dieses Konzept dem ultimativen Belastungstest: Ich nahm sechs Monate Vaterzeit. Das bedeutete sechs Monate Arbeiten im Schneckentempo, tagsüber nur, wenn der Kleine – immerhin sehr zuverlässig – seinen Mittagsschlaf machte. Auf einmal war ich froh, wenn ich in einer Woche zwei Arbeitstelefonate erledigen konnte! Aber ich hielt durch, und manchmal, wenn ich nachts lange geschrieben hatte, machte eben auch ich einen Mittagsschlaf. Seitdem empfinde ich eine noch grössere Demut gegenüber meinem Beruf. Und kann sagen, Schimmelpfennig hatte recht: Die Musen und meine Kinder verstehen sich inzwischen richtig gut.

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