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Augustheilige

(Übersetzt von Barbara Sauser)

«Heute ist Bartholomäustag und morgen Sankt Rochus.» Ich habe die verglaste Tür noch im Nachthemd und barfuss geöffnet, es ist sehr heiss in diesen Tagen, auch hier in diesem alten Haus wenige hundert Meter vom See entfernt. Ein ungewöhnlich heisses Augustende nach einem kühlen, verregneten Juli, doch er trägt eine dicke Wolljacke, die ihm fast bis zu den Knien reicht, dazu blaue Manchesterhosen, Socken und Halbschuhe. Er ist immer noch so gross wie früher, hält sich aber etwas krumm und ist stark abgemagert seit seiner Herzoperation. Die Kleider hängen an ihm herunter.

«Heute ist Bartholomäustag und morgen Sankt Rochus.» Es ist acht Uhr und er muss am Morgen schon einmal vorbeigekommen sein, denn als ich vor einer halben Stunde in die Küche kam, lag auf der Türklinke eine gelbe Blume, wie sie im Garten an den Rändern des Kieswegs spriessen. Immerhin hat er sich heute also nicht an den Beeten vergriffen, aus denen er oft eine Iris, eine Narzisse oder eine Feuerlilie stibitzt, zum Ärger der Nachbarn, die sie pflegen und meist doch nicht zu protestieren wagen.

Am Bernhardstag hat er mir eine wunderbare Sonnenblume gebracht: «Heute ist Sankt Bernhard und morgen Pius X.» Er sagte nicht «Sankt Pius X.», sondern nur «Pius X.» und lächelte dazu verschwörerisch. Sein leuchtend graues Haar ist noch ganz dicht und zu einem Bürstenschnitt gestutzt, und obwohl sich seine Frau um sein Äusseres kümmert wie früher, als er noch ein berühmter Architekt war und grössten Wert auf Würde und eine schlichte Eleganz legte, wirkt er ungepflegt und glücklich, wie jemand, der endlich mit der Welt im Reinen ist und diese mit Hilfe des Heiligenkalenders auch auf Distanz hält.

Seine freundliche Verrücktheit besteht aus Blumen, Obst und Gemüse, aber auch aus Wörtern, die er früher nie in den Mund nahm und jetzt mit kindlicher Unschuld braucht. «Heute ist Sankt Thekla», soll er letztes Jahr Ende September zu einem Bewohner des alten Hauses gesagt haben, als er ihm unter dem Laubengang begegnete, einem früheren Kollegen, um dann mit verträumtem Blick in Dialekt hinzuzufügen: «Thekla ist die mit den Riesenmöpsen», danach sei er über das Gras weitergeschlurft, die Hände auf dem Rücken gefaltet. Wer weiss, woher Theklas Riesenmöpse plötzlich aufgetaucht waren, wer weiss, wessen Gesichter und Leiber die Namen der Heiligen aus der Tiefe der Vergangenheit aufsteigen lassen?

«Und er hat noch Glück», hat seine Frau gestern zu mir gesagt, «er hat diesen grossen Garten, wo er beim Spazieren den Leuten begegnet, die er das ganze Leben um sich gehabt hat, und deren Kindern und Enkeln. Stell dir vor, wir würden in einer normalen Wohnung leben, ich hätte ihn schon lange in eine Klinik geben müssen.»

Stattdessen ist er hier auf seinem unvermeidlichen Coray-Stuhl an der Mauer oder manchmal unterwegs im Garten. Wenn ich mit Freunden komme, um ihn zu grüssen, wenn er guter Laune ist und der Gast, den ich ihm vorstelle, nicht allzu argwöhnisch blickt, verrät er auch ihm den Heiligen des Tages. Natürlich, er hat Glück und scheint es zu wissen, auch wenn er, sobald er mit seiner morgendlichen Heiligenrunde fertig ist, fast den ganzen Tag mit gesenktem Kopf auf seinem Metallstuhl mit den runden Löchern sitzt, der am Rand des grossen Gartens steht, vor dem Haus, das er vor vierzig Jahren für sich und seine Familie entworfen hat: ein Kubus aus Stahlbeton, in zwei einander gegenüberstehende Dreiecke geteilt. Ein radikales Beispiel neuen Bauens, fast autistischer Architektur – sogar aus Japan kommen Studenten zur Besichtigung.

«Heute ist Bartholomäustag und morgen Sankt Rochus und das ist eine Blume aus der Bolletta», sagt er nun zu mir und streckt mir einen Zweig mit ein paar mageren Blättchen entgegen, wie um
zu sagen: Schau, wie brav ich bin, ich habe keine Blumen aus den Beeten genommen.

Ich blicke auf seine Schuhe. Steigt er wirklich in das schlammige Bachbett hinab? Die Bolletta, von Mäusen, Ratten und ab und zu einem Graureiher bevölkert und im Moment fast ausgetrocknet, ist der Wasserlauf, der den Garten durchquert und wenig weiter vorne in den See mündet.

«Heute ist Bartholomäustag und morgen Sankt Rochus und du hast dir deine Zehennägel angemalt», sagt er mit strengem Blick auf meine Füsse. Es scheint fast ein Vorwurf zu sein. Ich bin perplex. Macht er sich über mich lustig? Oder meldet sich der alte Moralismus meiner Jugendzeit zurück?

«Ja, hast du gesehen?», antworte ich, «ich habe sie grün angemalt. Gefällt es dir?»

«Sehr», sagt er und blickt wieder hinunter.

Auch an diesem Morgen grüsse und bedanke ich mich und versuche auf seiner Schiene zu bleiben. Keine Fragen, die über die Heiligen und das Klima hinausgehen. «Schönen Tag», fügt er noch an, «morgen ist ja endlich Montag.»

Morgen ist nicht Montag, aber mehr staune ich über das fast scheinheilige «endlich», ausgesprochen mit zu Schlitzen zusammengekniffenen, aber leuchtenden Augen, als ob es sich um etwas Vertrauliches handelte, ein «endlich» wie ein Versprechen: «Morgen kommt etwas, was sich von diesem endlosen Sonntag, den das Leben in seinen äussersten Zonen darstellt, unterscheidet.» Oder vielleicht hat er einfach die Heiligen durcheinandergebracht, vielleicht sind die Monotonie seiner Handlungen und die zusammen mit ihm alternden, immer gleichen Gesichter wirklich die Haltegriffe dieser Existenz, die sich ohne Eile mit grosser, wehmütiger Ironie ihrem Ende zubewegt.

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