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Im Geschwindigkeitsrausch der Berge

Teil 2

Im Geschwindigkeitsrausch der Berge

Der Tag ist noch frisch, kaum richtig da, kühl und jung. Ein leises Klacken, ein zweites.

Die Klickschuhe machen mich fest am herrlichen Stahl unter mir, machen mich eins mit der -Eleganz und der Schnelligkeit, die ein perfektes Rennvelo selbst den Amateur spüren lässt. Der Bergsteiger in mir fühlt sich an Skitouren erinnert, wenn endlich die Bindung einrastet und es in der Kälte losgeht auf geschwungenen Bahnen durch den Schnee in die Höhe. Doch dieser Morgen ist anders. Rasch rollt er an und nimmt Fahrt auf. Die Oberschenkel pumpen ruhiges Blut. Zwei Kolben, die nicht mehr stillstehen sollen, bis der Gipfel erreicht ist. Wobei der in Wahrheit gar keiner ist, ein Pass bloss. Übergang für die einen, Himmel und Hölle für die anderen. -Beständig drehen die Räder. Geschmeidig packen die Zahnräder zu. Das Herz pocht und nicht nur die Strasse windet sich. Die Luft des -Morgens strömt tief in meine Lungen. Die Steigung lässt sie noch köstlicher werden.

Dann das erste Wrrrooaaaamh!!! Keine tief -tuckernde Harley, sondern die Ducati Monster. Oder doch die Streetfighter? Der Routinier erkennt die Motorräder, bevor sie einen überholen?, schneiden?, touchieren? Heute werden es 83 gewesen sein, bevor ich ihnen auf der Passhöhe wieder begegne. Sie treten in farbig ledrigen Rudeln auf oder als mit Fransen behangene Lonely Rider. Aber den Wurstsalat im Hospiz mögen alle. Ich mag es, auf der Passhöhe nicht einmal anzuhalten, mit wieder erlangter Leichtigkeit geräuschlos vorbeizugleiten, aufrecht im Sattel, freihändig im Wind. Der kleine See glitzert. Das Lycra der Radsporthelden schillert zurück. Es bleiben noch wenige Meter Entspannung, dann greifen die Hände wieder ins straff gewickelte Leder, die Schussfahrt setzt an. Mein Herz sinkt in die Magengrube und schnellt – nun rasend – zurück. Der Berg als Achterbahn, die auf dem Scheitelpunkt lächelt, bevor sie einen in den alles mit sich reissenden Rausch stürzt. Mein Rennvelo ist jetzt ein scharfes Messer, das die Luft entzweischneidet, die -Geschwindigkeit lässt mich zittern, bevor sie in meinem Kopf den Vernunftschalter auf Aus schaltet. Ich lege mich nieder, tief in die Kurven, was für ein Fest. Mein Jauchzen hallt an den Berg-wänden wider, und könnte ich noch denken, -würde ich das an erwachsene Männer tun, die in stiebender Schneeabfahrt wie kleine Buben ins winterliche Blau juchzen. Aber diese Abfahrt ist anders. Ich bin nackt in den Elementen. Der -Asphalt ist kein Schnee. Ungeschützte Lust. Fühlt sich Fliegen so an? Free Solo Climbing? Wie -konnte ich all die Jahre die Berge durchstreifen und dieses Glück übersehen? Seit gestern, 14.35 Uhr, stehen in meiner Bergbuchbibliothek zwei neue Bildbände: «Escapes – Traumrouten der Alpen». Auf über 200 Seiten Serpentinen, Kurven und Steilstrassen, die Stefan Bogner, der Neffe des Skistars Willy Bogner, als gewaltige Landschaftsaufnahmen inszeniert. Ein einziger Rennvelofahrer, sonst kein Mensch, kein Kiosk, kein Flaggenzirkus, kein Oldtimertreffen und kein Verkaufsstand mit Murmeli-Kräutersalbe. -Photographien, die mal nebelverhangen sind, und Texte, so knapp, dass sie der Poesie dieses Werks nicht im Wege stehen. -Beredter dagegen das soeben erschienene «Passbilder – Landschaften der Alpenpässe». Neben den ebenso eindrucksvollen Photographien von Berthold Steinhilber ist es hier dem Zürcher Eugen E. Hüsler zu verdanken, dass einem klar wird, dass die Geschichte der Alpen nicht mit den Erstbesteigungen, sondern in der Bronzezeit -begann. Doch eigentlich genügt auch hier die Pracht der Bilder, der Anblick nackter Strassen. Kletterer, die stundenlang in Felswänden lesen können, -werden mich verstehen.


Stefan Bogner: Escapes – Traumrouten der Alpen. Bielefeld: Delius Klasing, 5. Auflage, 2015. Berthold Steinhilber, Eugen E. Hüsler: Passbilder – Landschaften der Alpenpässe. München: Frederking & Thaler, 2015.

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