Markus Bundi:
«Planglück»
Was tun, wenn die Welt aus den Fugen gerät? Auch unter Hausgeistern ist die Frage unentschieden. Sepp, einer dieser guten Geister, welche den Menschen seit der letzten Eiszeit mit Rat und Tat beistehen, ist am Ende, «total ausgeseppt». Kriege und Elend, Globalisierung und Digitalisierung haben ihm und seinen Kollegen den Rest gegeben. Als letzter seiner Art erzählt er ihre Geschichte, die einmal eine Geschichte der Sorge um die Menschen war, nun aber eine der Entgeisterung ist. Sepp zieht sich in den Kühlschrank zurück, ballt sich bei einer Temperatur von null Grad zum «Sepppunkt» und verreist «lichterdings». Zurück bleibt die Frage nach der Glückstauglichkeit des Menschen angesichts der «Entseppung».
«Eiszeit» lautet der Titel dieser Geschichte – einer von insgesamt fünfzehn Erzählungen in Markus Bundis neuem Buch «Planglück». In mehr oder weniger grossen Ellipsen umkreisen sie das Thema Glück, was immer auch heisst: Zufälligkeit und Planbarkeit, Abwesenheit und Tod. Kurz: es geht ums Ganze.
So etwa in der Geschichte, welche dem Band den Titel gibt. Franz, ein todkranker Neurologe, verlangt nach Glück, nach «Planglück» – er, den das Tier, das weint, nie gekümmert hat, stellt, frei nach Sartre, den Selbstentwurf, die eigene Optimierung ins Zentrum der Existenz. Franz bittet seinen Freund, den Erzähler, am Ende seines Lebens gegen stattliches Entgelt um Aufklärung: Was hat es mit dem Glück auf sich? Im Brief an den Neurologen schreibt dieser: «Beste Voraussetzungen für ein glückliches Leben hat heute der Mensch, den es (mindestens) doppelt gibt.» Will heissen: das Glück liegt in der Entlastung, und zwar durch den eineiigen Zwilling – oder noch besser: gleich durch zwei eineiige Zwillinge. Diese sollen einander ersetzen, während der Arbeit entlasten oder bei kriminellen Aktivitäten das perfekte Alibi liefern. Der Satz «Ohne die andern bleibt das Glück unauffindbar» erhält auf diese Weise eine neue Perspektive. An die Stelle von Evolution und Kairos tritt die gezielte Effizienzsteigerung, die strategisch geplante Ich-Glück-Produktion.
Markus Bundis Prosa changiert gekonnt zwischen Ernst und Satire. Wie das geht, zeigen auch die beiden Erzählungen «Aequinocticum» und «Operation Sherwood». In der erstgenannten geht es um den Beinahe-Nobelpreisträger Quantlinger (die Stiftung in Schweden ging kurz vor der Preisverleihung pleite), der mit dem Medikament Aequinocticum die Menschen wieder ins Gleichgewicht bringen will. In der zweiten ist sich der Erzähler sicher, dass sein Schulfreund Jeremy sowie sein Gymnasiallehrer Bingesser die Terroristen sind, welche die Mauern zwischen Kalifornien und Mexiko sowie «jene drei in Europa und den befestigten Wall in der Westsahara» in die Luft sprengen.
Am Ende besteht kein Zweifel: Planglück ist eine Illusion, oder wie Kafka einmal geschrieben hat: «Das Glück, das dir am meisten schmeichelt, betrügt dich am ehesten.» Auch die hilfreichen Hausgeister verschwinden nicht vollständig in der «Eiszeit» des Gefrierfaches. Sie bleiben, obwohl abberufen, mit ihrer Geschichte zumindest in der digitalen Sphäre als Datei erhalten – und hallen so als «letzter Seppruf» durch die Umzingelungen des verplanten Daseins.
Markus Bundi: Planglück. Tübingen: Klöpfer & Meyer, 2017.