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Philippe Jaccottet: «Gedanken unter den Wolken»

Philippe Jaccottet:
«Gedanken unter den Wolken»

 

Es sind Worte des Scheidens, Metaphern des Adieu: Asche, Greis und auch der Fährmann, die einen im Glanz des allgegenwärtigen provenzalischen Lichts in Philippe Jaccottets Gedichten begleiten. Als hätte er seinen eigenen Abschied von der Lyrik, seine Metamorphose zum Prosaautor, einmal noch in Versen zelebriert. Nach «Pensées sous les nuages» von 1977 ging der Dichter neue Verbindungen von Prosa und Lyrik ein, wie die kundigen Übersetzer und Kenner seines Werks, Elisabeth Edl und Wolfgang Matz, im Nachwort darlegen.  

In dieser über vierzig Jahre nach der französischen Erstausgabe erstmals zweisprachig publizierten Gedichtsammlung können wir den Dichter dorthin begleiten, wo er sein Gold findet: ins Bergwerk der Sprache. Denn was anderes ist das Metier des Dichters, als dem nachzuspüren, was in ihm klingt? Nun liegt es an ihm, dieses Empfinden an der Welt mit Worten zum Ausdruck zu bringen. Die Gedichte nehmen uns dorthin mit, wo das «Gold des Abends zu Mittag wird» und die Räume, die das lyrische Ich betritt, sich öffnen wie «der Wagen des Elias, dessen Räder mit den Galaxien wachsen». Es findet Wörter so simpel wie die Freude (la joie) im gleichnamigen Schlüsseltext, die sich mit Seide (soie) reimt, weil der Sommerhimmel wie ein Seidenband glänzt, und spürt auf der Suche nach dem einzelnen gleichzeitig allen Wörtern nach, indem es sich «von Bild zu Bild treiben lässt». Wann hat je ein Dichter, mit Ausnahme von Rilke vielleicht, fern vom Topos der Inspiration oder vom Werkstattgespräch, so hellsichtig über die Essenz des Dichtens gesprochen?

Wer diesen wunderbaren, über neunzigjährigen Dichter noch zu dessen Lebzeiten entdecken will, derweil er dem Bussard nachspäht, der ihm, dem Auguren, Worte in den Himmel zeichnet oder solche, die «zwischen den Gipfeln wandern», schliesslich als Schnee auf unsere Füsse fallen lässt, hat dank der Übersetzung auch ohne Französischkenntnisse einen Schlüssel zur Hand.

Nur: Französisch bei Jaccottet ist, entgegen allen Klischees von Schnörkeln und Verspieltheit, eine Sprache von grosser Klarheit, die Luzidität und Raffinesse zulässt. Wechselt man vom Französischen ins Deutsche, zerfällt Jaccottets Poesie leider wie die Farben des Paon de nuit, des Nachtpfauenauges, das der Dichter in «Nacht und Frost» entlässt, als ob es, deutsch und gründlich aufgespiesst, im Schaukasten verbliche. Dann erklingt wenig von der «Milde», die Jorge Luis Borges in seiner «Ode an die deutsche Sprache» besang, und die deutsche Übersetzung scheint ebenso weit von der französischen Poesie Philippe Jaccottets entfernt, um es mit Borges zu sagen, wie die Algebra vom Mond.

Philippe Jaccottet: Gedanken unter den Wolken. Gedichte französisch/deutsch. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Göttingen: Wallstein, 2018.

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