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gehen & kommen

nein heimweh hatte ich nie wenn ich weg war personen fehlten mir zuweilen die sprache in der ich zuhause bin da gehe ich mit goytisolo – ein autor ist nicht in einem land einem kulturkreis heimisch sondern in seiner sprache nein heimweh hatte ich nie   ich bereiste die ränder mich interessierten die abgründe die […]

nein
heimweh hatte ich nie
wenn ich weg war
personen fehlten mir
zuweilen die sprache
in der ich zuhause bin
da gehe ich mit goytisolo
– ein autor ist nicht in einem land
einem kulturkreis heimisch
sondern in seiner sprache
nein
heimweh hatte ich nie

 

ich bereiste die ränder
mich interessierten die abgründe
die kriege, die vorüber waren
die narben, die blieben
die neue kolonialisierung, die begann
ich hörte die abgründe
aus dem mund alter männer
junger frauen
mich interessierten die ränder
wie weit menschen gehen können

 

menschen, die aufbrechen
in ein ungewisses europa
in eine exotische schweiz
(für sie exotisch)
wegen unmöglicher zustände
wegen der gewalt
geld
um in der fremde
ihrer familie zuhause
was zu ermöglichen
auch wenn die kinder
das gesicht des vaters vergessen

 

ich kam zurück in die schweiz
wegen des gelds
it’s the economy stupid

 

verdient wird auswärts
gelebt zuhause
hörte ich so oft

 

es ist dekadent
mein fernweh
ihr heimweh
heimweh
die schweizer krankheit
wie es hiess
morbus helveticus
als schweizer söldner
sich in fremden diensten
gegenseitig die köpfe einschlugen

 

das war damals
von nichts kommt nichts, sagen wir heute
& sie: it takes money to make money

 

unterwegssein, reisender werden, eintauchen ins andere
wenn sich die kulturellen codes verwischen
verkehren, zu enigmen werden
wenn es ein sehen
aber kein verstehen gibt
darum geht’s beim unterwegssein
die weissen flecken sind nicht mehr
in karten eingezeichnet
neu der inneren orientierungssoftware eingespeist
nur sehen
nicht verstehen
sich nach & nach aneignen
sprachfetzen, zeichen, feinheiten
es braucht zeit
& oft perlt man ein leben lang ab
wie wasser an fett

 

vieles wird, von ferne gesehen, unverständlich
die sicht auf die heimat häutet sich
etwa im café hafa in tanger, umgeben von jungen leuten
daneben schneiden sie das kif
& hinter dem dunst der strait of gibraltar
europa, das fossil
etwa an der playa limon
am äussersten östlichen zipfel der domrep
links & rechts endlos strand, weidende rinder
& schräg oben hinter dem atlantik
ein europa ohne aufbruch
etwa im rugovatal in kosovo
wasser, fels, frieden
dahinter montenegro, dahinter
die schrecken von srebrenica
sarajevo
das versagen eines westens
der wunsch nach schotten dicht
zäune wie unkraut
wo brücken stehen sollten

 

nein, die berge haben nie gestört
aber das mauern
was der bauer nicht kennt
frisst er nicht

 

niemand hat die absicht, hier zu leben
gelebt wird auswärts
hier wird verdient


Pablo Haller
ist Schriftsteller und lebt in Luzern. Der Redaktionsleiter des Kulturmagazins «041» ist mit seinen literarischen Reisebetrachtungen bekanntgeworden. Zuletzt erschienen: «Südwestwärts 1&2» und «Leda» (gONZoverlag, 2013, 2014).

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Das Weite suchen

Schweizer Wirtschaftsflüchtlinge sollen die ersten gewesen sein, die unter «Heimweh» litten – Reisläufer, Söldner, die im 17. Jahrhundert ihren Lebensunterhalt in Kriegen verdienten. «In der Brust schlägst du, Heimat, mir stets / Lässt sie pochen vor Freude und Lust», schreibt einer der vielen Tessiner Auswanderer nach Kalifornien 1881 an seine Familie in Broglio. Und heute? […]

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