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Brief aus der Romandie (quatre)

Mit den Blättern fallen jeweils die Entscheide für die französischen Preise. Nach Joël Dicker stand diesmal kein Schweizer auf der Goncourt-Liste, doch Douna Loup war immerhin nominiert für den Prix Wepler mit «L’Oragé» (Mercure de France) – und erhielt den mit elf Euro dotierten parodistischen Prix Virilo der «Schnurrbartträger». Der Roman stellt zwei Dichter im […]

Mit den Blättern fallen jeweils die Entscheide für die französischen Preise. Nach Joël Dicker stand diesmal kein Schweizer auf der Goncourt-Liste, doch Douna Loup war immerhin nominiert für den Prix Wepler mit «L’Oragé» (Mercure de France) – und erhielt den mit elf Euro dotierten parodistischen Prix Virilo der «Schnurrbartträger». Der Roman stellt zwei Dichter im Madagaskar der 1920er Jahre vor: Jean-Joseph Rabearivelo, genannt Rabe, und die zehn Jahre ältere Esther Razanadrasoa, alias Anja-Z. Während der eine Baudelaire bewundert und auch auf Französisch veröffentlicht, weigert sich die andere standhaft, in der Sprache des Kolonisators zu dichten. Beide verfolgen konsequent ihren Weg der Freiheit. Besonders faszinieren die eingestreuten Ausdrücke auf Madagassisch – so heisst «beunruhigt sein» Mandry andriran’antsy: «auf Messers Schneide liegen». Der poetische Text umkreist Fragen des Eigenen und des Fremden in der Liebe, der Sprache und der Kunst.

Ganz neu ist der Prix Alice Rivaz zu Ehren der 1998 verstorbenen Grande Dame der Westschweizer Literatur. Er ging an Yves Laplace und seinen Roman «Plaine des héros» (Fayard), der sich ebenfalls mit einer historischen Figur befasst, allerdings einer sehr problematischen: dem Genfer Autor, Journalisten und Politiker Georges Oltramare (1896–1960), Antisemit und Faschist. Seine Partei «Union nationale» griff 1932 u.a. den jüdischen Sozialistenführer Jacques Dicker (Urgrossvater des Erfolgsautors) öffentlich an. Während einer Gegendemonstration schoss die Armee in die Menge – es gab 13 Tote und 65 Verletzte. Oltramare arbeitete 1940–1944 für die Besatzungsmacht in Paris und wurde nach Kriegsende zu drei Jahren Zuchthaus (in Frankreich gar zum Tode) verurteilt. Laplace nähert sich dem «beau Géo» mittels verschlungener, ironischer Dialoge, vor allem mit einem Neffen Oltramares, Pianist, Gitarrist und Sänger, den der Erzähler auf einer aberwitzigen Russland-Reise kennenlernt. Die Dialoge mögen erfunden sein, der Neffe, Grégoire Dunant, ist es nicht: seine Musikvideos finden sich auf YouTube.


Ruth Gantert
ist Redaktionsleiterin des dreisprachigen Jahrbuchs der Schweizer Literaturen «Viceversa» und der Plattform www.viceversaliteratur.ch. Sie lebt in Zürich.

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