S. Corinna Bille:
«Schwarze Erdbeeren»
Beim grossen Publikum dürfte sie nur noch wenigen bekannt sein. Unter anderen hat ihr Mann, der Dichter Maurice Chappaz, dafür gesorgt, dass ihr Werk nicht ganz in Vergessenheit geriet. Liest man sie heute, so wirken die Erzählungen und Romane der am 29. August 1912 in Lausanne geborenen, am 24. Oktober 1979 in Sierre gestorbenen Dichterin S. Corinna Bille frischer und moderner als manches, das in der Gegenwart produziert wird. Ihr Stil ist präzis und direkt, ihre Bildsprache kühn und dicht. Ihre grossen Themen sind die Liebe und die Natur der Walliser Bergwelt.
Dabei kann das Unerreichbare unmittelbar Wirklichkeit werden und was wirklich scheint, plötzlich für immer verloren sein. So legt sich der verliebte Ich-Erzähler in der Erzählung «Schwarze Erdbeeren» ins Gras, nachdem er die Frau seiner Träume unter den Betenden einer Prozession entdeckt hat. Er schliesst die Augen, «um in meinem Innern das Bild deutlicher zu bewahren, das ich wohl nie mehr sehen würde. Als ich sie wieder aufschlug, war Jeanne da und schaute mich an.» Bei Bille sind Phantasie und Realität ganz selbstverständlich aufeinander bezogen. Doch das leidenschaftliche Verlangen setzt sich der Gefahr aus, alles zu verlieren, auch das eigene Leben. Bis zum Schluss werden die Figuren in einer spannungsgeladenen Offenheit gehalten.
Der Erzählband Schwarze Erdbeeren ist nun in der von Peter von Matt bei Nagel & Kimche herausgegebenen Reihe «Kollektion» neu aufgelegt worden, in der Übersetzung von Marcel Schwander aus dem Jahr 1975. Neun längere und kürzere Texte enthält der 1968 erschienene Band, und in fast allen deutet sich im Schatten des Verlangens das Verderben an. So auch in der Erzählung «Das ganze Leben vor mir», einer Variation des Motivs «Der Tod und das Mädchen». Oft geht es um eine unmögliche Liebe, von der Liebe zum verstorbenen Sohn bis zur inzestuösen Geschwisterliebe. In «Verpasste Liebe» versetzt sich eine alte, kranke Frau in ihre Kindheit zurück, auf der Suche nach dem Gefährten, der ihr bestimmt gewesen wäre. Sie liegt im Bett und hat Durst – aber diesmal soll es etwas Rechtes sein, kein Kräutertee und keine Milch. Und schon sieht sie über sich die Champagnerflaschen tanzen, die sie mit Schaum bespritzen. Sie selbst sei «immer wie verrückt verliebt in jemanden» gewesen, hat Bille einmal von sich selbst behauptet: «Welche imaginären Abenteuer!» Den Akt des Schreibens erklärte sie zu einem «Äquivalent des Liebesaktes». Da sind Kräfte im Spiel, die man in der Literatur der Gegenwart nicht selten vergebens sucht. Bille setzt sie ohne Pathos in Szene, fast beiläufig, und gerade so spürt man ihre Gewalt.
Corinna Bille: Schwarze Erdbeeren. Erzählungen. Mit einem Nachwort von Monique Schwitter. Zürich: Nagel & Kimche, 2012.