Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos

Ein Meilenstein

Roger Perrets Anthologie «Moderne Poesie in der Schweiz»

«Es gibt keine Einheit mehr.» Mit diesem Wort aus Blaise Cendrars’ Gedicht «Kontraste» beginnt Roger Perret im Nachwort die Führung durch seine Anthologie «Moderne Poesie in der Schweiz». Erstmals versammelt diese Blütenlese repräsentativ Dichtungen aus der Schweiz ab 1900, und zwar in aller Bandbreite. «Poesie» kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich «das Gemachte, Hergestellte, Fabrizierte». Dementsprechend ist Poesie für den Herausgeber Roger Perret ein breiter Begriff, der nicht nur herkömmliche Lyrik, sondern auch Prosagedichte, Wort-Bild-Arbeiten, Mundart- und Songtexte, Experimentelles, Produkte aus Kliniken u.a.m. umfasst. So sind rund 600 vielfältige Werke von rund 250 Autorinnen und Autoren zusammengekommen.

Perret führt sie in 28 luftig-los komponierten Kapiteln aus. Diese tragen den Gedichten entlehnte Überschriften wie «Ich spucke auf die Schönheit» (Cendrars), «Ein wenig Lärm noch zuckt aus einem Reim» (Alexander Xaver Gwerder), «Einfach eine Rose einatmen oder den Garten verwüsten» (Maurice Chappaz), «Liebesgerümpel, Scherbenglück» (Gertrud Wilker) oder «Unter dem Zimmerhimmel ein Zungenbruch» (Sabina Naef). Unter solchen Leitworten entfalten die versammelten Gedichte ein Gespräch, das über die Ränder der einzelnen Texte und übrigens auch über die Grenzen der Schweiz hinausführt, wenn es Stimmen von Immigranten und Schreibenden, die eine Zeitlang hier gelebt haben, mitberücksichtigt. An dieser Stelle einzelne Namen zu nennen, würde in bezug auf die tatsächliche Breite der Auswahl nur in die Irre führen. Im Nachwort des gewaltigen Bandes, den ein fast 70seitiger Appendix mit Biographien, Quellenangaben etc. orches-triert, zitiert Perret den russischen Dichter Ossip Mandelstam: «… würde ich das Gedicht mit der ägyptischen Totenbarke vergleichen. In dieser Barke ist alles für das Leben bereitgelegt, nichts wurde vergessen.» Dies gilt auch für die grosse Barke, die Perrets Anthologie selbst darstellt. Getrost wird sie ihr Licht durch die dunkle Jahreszeit tragen und manchem Leser, mancher Leserin ins Herz sprechen, bekannte wie fast vergessene Namen in Erinnerung rufen und darüber hinaus ein Meilenstein, ein erstklassiger Referenzpunkt für die Erschliessung der modernen Poesie in der Schweiz bleiben.


Roger Perret: Moderne Poesie in der Schweiz. Eine Anthologie. Zürich: Limmat, 2013.

»
Claire Plassard, photographiert von Michael Wiederstein.
Bin ich eine Exotin?

Ich besitze ein Smartphone und auch andere Accessoires des 21. Jahrhunderts. Meine Leidenschaft aber ist eine scheinbar unzeitgemässe: Ich fische nach Worten. Macht mich das zur Lyrikerin? Was ist überhaupt ein Gedicht? Und sind diese Fragen eigentlich wichtig?

Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!