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In Antiquariaten gestrandet

Als ich noch studierte und mir das Geld für neue Bücher fehlte, erklärte ich Antiquariate zu meinen Jagdgründen. Damals das Antiquariat Ribaux an der Bahnhofstrasse in St. Gallen. Und weil auch dort die schiere Menge mich zu erdrücken drohte, kaufte und las ich ausschliesslich Schweizer Literatur: Edwin Arnet, Kurt Guggenheim, Ruth Blum, Felix Moeschlin oder […]

In Antiquariaten gestrandet

Als ich noch studierte und mir das Geld für neue Bücher fehlte, erklärte ich Antiquariate zu meinen Jagdgründen. Damals das Antiquariat Ribaux an der Bahnhofstrasse in St. Gallen. Und weil auch dort die schiere Menge mich zu erdrücken drohte, kaufte und las ich ausschliesslich Schweizer Literatur: Edwin Arnet, Kurt Guggenheim, Ruth Blum, Felix Moeschlin oder Elisabeth Gerster.

Namen, die noch immer meine Regale zieren, die etliche «Redimensionierungsaktionen» unbeschadet überstanden haben. Perlen. Edwin Arnets Roman «Emanuel» begeisterte mich so sehr, dass ich eines meiner Kinder mit seinen Worten taufen liess. Kurt Guggenheims Tod im Winter 1983 entriss mir einen Seelenfreund, der mir Türen öffnete, und in Felix Moeschlins Liebesgeschichte «Der glückliche Sommer» sind Passagen angestrichen, die mich noch heute schaudern lassen.
Aber ihnen droht das Vergessen. Jetzt erst recht, nachdem die Bologna-Reform die Literaturstudenten aus den Antiquariaten vertrieben hat. Es gibt keine Zeit mehr, auf eigene Entdeckungsreisen zu gehen, sich fernab von Pflichtlektüre und Kreditpunkten ins Abenteuer Literatur zu stürzen. Antiquariate schliessen und in Brockenhäusern strandet, was der Verbrennung entgeht. Der Besitzer des kleinen Antiquariats in Zürich, unweit der Universität, mit der engen Wendeltreppe ins Obergeschoss hinter dem Verkaufstisch, der zusammen mit seinen Schätzen in die Jahre kommt und keinen Gedanken mehr verschwendet, ob dereinst, nach seinem Abgang, die Türglocke weiter klingelt, winkt ab. Sie sind vergessen, ausgebremst, zurückgelassen. Niemand liest sie mehr. Die einzigen, die noch zwischen den Regalen stöbern, sind Alte und «Zurückgebliebene». Weil sich der Literaturbetrieb in vielem nicht von allen anderen Modebranchen unterscheidet. Weil Aktualität zur obersten Maxime erklärt wird.

Was bleibt, ist die Hoffnung, dass irgendwann, wenn sich die Dystopien bewahrheiten, jene bleiben, die in den Regalen überleben.


Gallus Frei-Tomic
ist aus Leidenschaft Literaturvermittler, Rezensent und Blogger (literaturblatt.ch). Ausserdem verfasst und gestaltet er Literaturblätter, die er per Post an Interessierte verschickt.

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